Jakobus Kapitel 1 Teil VII

Jakobus 1.22-27

Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein, dadurch ihr euch selbst betrügt. Denn so jemand ist ein Hörer des Worts und nicht ein Täter, der ist gleich einem Mann, der sein leiblich Angesicht im Spiegel beschaut. Denn nachdem er sich beschaut hat, geht er davon, und vergisst von Stund an, wie er gestaltet war. Wer aber durchschaut in das vollkommene Gesetz der Freiheit, und darin beharrt, und ist nicht ein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter, derselbige wird selig sein in seiner Tat. So sich jemand unter euch lässt dünken, er diene Gott, und hält seine Zunge nicht im Zaum, sondern täuscht sein Herz, des Gottesdienst ist eitel. Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott, dem Vater, ist der: die Weisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen, und sich von der Welt unbefleckt halten.

 

Seid aber Täter. – „Täter“ bedeutet hier nicht wie Römer 2.13 den, der dem Gesetz Gottes genugtut, allseitig es erfüllt, sondern, der Gottes Wort innerlich erfasst und mit seiner Lebensführung bezeugt, dass er ernstlichen Glauben hat, entsprechend jenem Wort Christi (Lukas 11.28): „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.“ Hier zeigt Jakobus an den Früchten, welcher Art jene eben genannte Einpflanzung ist. Zu bemerken ist außerdem, dass der Glaube vom Apostel mit anderen Werken zusammen in eine Reihe gestellt wird, ja er wird sogar ganz besonders so betrachtet, als das vorzüglichste Werk, das Gott von uns fordert. Die Hauptsache ist: Wir sollen uns Mühe geben, dass das Wort des Herrn Wurzel in uns schlage zum späteren Fruchtbringen.

Der ist gleich einem Mann, der sein leiblich Angesicht im Spiegel beschaut. Denn nachdem er sich beschaut hat, geht er davon, und vergisst von Stund an, wie er gestaltet war. – In der Tat ist die himmlische Lehre ein Spiegel, in dem Gott sich uns zum Anschauen darbietet, aber so, dass wir in sein Bild verklärt werden, wie Paulus 2. Korinther 3.18 sagt. Hier aber handelt es sich um den äußeren Blick, nicht um die lebendige und wirksame Beschauung, die bis ins Herz dringt. Ein fein gewähltes Gleichnis, das kurz andeutet, wie nutzlos die Lehre sei, wenn sie nur mit dem Ohr, nicht mit der innerlichen Teilnahme des Herzens aufgefasst wird, weil sie in diesem Fall ja bald sich verliert.

In das vollkommene Gesetz der Freiheit. – Vom leeren Hineinschauen hat Jakobus gesprochen. Nun steigt er zu jenem innerlichen, eindringenden Blick auf, der uns in das Ebenbild Gottes verklärt. Weil er es aber mit Juden zu tun hat, braucht er den ihnen vertrauten Ausdruck „Gesetz“ für die ganze Heilslehre Gottes. Wenn er dann vom „vollkommenen“ Gesetz und vom Gesetz der „Freiheit“ spricht, so haben ihn die Erklärer nicht verstanden, weil sie den hier bemerkbaren Gegensatz nicht begriffen, der aus anderen Stellen der Schrift erhellt. Solange das Gesetz mit äußerem Laut von den Menschen zwar gepredigt, aber nicht mit Gottes Geist oder Finger ins Herz geschrieben wird, bleibt der Buchstabe tot, einem leblosen Leichnam gleich. Dass man es für ein unvollkommenes, verstümmeltes Gesetz hält, bis es im Herzen aufgenommen wird, ist also nicht verwunderlich. In der gleichen Weise ist auch die Beziehung des Gesetzes zur Knechtschaft, wie Paulus in Galater 4.24 lehrt, und kann uns nur hinabstürzen in Misstrauen und Furcht, wie derselbe Paulus in Römer 8.15 zeigt. Der Geist aber der Wiedergeburt schreibt es uns ins Gemüt und bringt gleichermaßen die Gnade der Kindschaft. Unsere Aussage bedeutet also so viel, als hätte Jakobus gesagt: Nicht mehr zur Knechtschaft soll das Gesetz wirken, vielmehr euch frei erklären, nicht mehr soll es nur ein erzieherischer Zuchtmeister sein, sondern zur Vollkommenheit führen; ihr müsst es mit aufrichtiger Freude annehmen, damit ihr einen frommen und heiligen Wandel führt. Da diese Erneuerung durch Gottes Gesetz aber nach dem Zeugnis des Jeremia (31.33) und anderer eine neutestamentliche Gabe ist, so ist weiter klar, dass sie erst nach Christi Kommen erlangt werden kann. Gewiss ist Er selbst allein des Gesetzes Ziel und Vollendung. Deshalb fügt Jakobus das Wort „Freiheit“ hinzu; denn diese ist die unzertrennliche Begleiterin dieser Erneuerung, weil der Geist Christi uns ja niemals erneuert, ohne dass die Befreiung des Herzens von Furcht und Angst uns zugleich Zeugnis und auch Pfand der Kindesannahme bei Gott wird. Dass ein Mensch im Gesetz beharrt, besagt, dass er seinen Blick ständig auf die Erkenntnis Gottes gerichtet hält. Und wenn Jakobus hinzufügt: Der wird selig sein in seiner Tat, so gibt er zu verstehen, dass die Seligkeit im Handeln liegt, nicht im teilnahmslosen Hören.

So sich jemand unter euch lässt dünken, er diene Gott, und hält seine Zunge nicht im Zaum. – Nun tadelt Jakobus auch an denen, die sich selbstbewusst als Täter des Gesetzes gebärden, den Fehler, an dem die Heuchler gemeinsam kranken: Die schamlose Klatschsucht. Vorher (Vers 19) hatte er es schon mit der Zucht der Zunge zu tun, aber mit anderer Absicht. Da hieß er uns, Gott gegenüber schweigen, damit wir zum Lernen umso geneigter wären. Jetzt hat er etwas anderes vor: Nicht zum Lästern sollen die Gläubigen ihre Zunge gebrauchen. Dies Laster musste besonders in seiner Schwere gewogen werden, wenn die Beobachtung des Gesetzes in Frage stand. Denn wer die gröberen Fehler abgelegt hat, ist meistens dieser Krankheit unterworfen. Wer weder Ehebrecher noch Dieb noch Trinker ist, vielmehr im Glanze äußerer Heiligkeit strahlt, der führt den guten Ruf anderer fortwährend im Munde und reißt ihn herunter, natürlich unter dem Vorwand des guten Eifers, in der Tat aus Lust am Verkleinern. Deshalb will Jakobus hier die wahren Gottesverehrer von den Heuchlern unterscheiden, die geschwollen und mit pharisäischem Stirnrunzeln durch Herabsetzung aller anderen sich selbst das höchste Lob erwerben wollen. „Wenn jemand sich lässt dünken“, das heißt sonst den Schein der Heiligung trägt, inzwischen aber am Klatschen sich ergötzt, so ist dies der Beweis, dass er Gott nicht wahrhaft dient. Denn die Bezeichnung seiner Religiosität als einer eitlen besagt nicht nur, dass seine übrigen Tugenden vom Makel der Lästersucht befleckt werden, sondern dass sein scheinbar frommer Eifer nicht aufrichtig ist.

Sondern täuscht sein Herz. – So wird die Quelle des Übermuts, dem die Heuchler ergeben sind, bezeichnet. In unmäßiger Selbstliebe verblendet, reden sie sich ein, dass sie bei weitem besser wären, als sie in der Tat sind. Sicherlich wurzelt da die Verkleinerungssucht; man sieht eben seinen eigenen Buckel nicht. Sehr richtig hat Jakobus also, um die Wirkung zu beseitigen, die Lust am Lästern, die Ursache hier in seinen Tadel verflochten, dass nämlich die Heuchler sich selbst viel zu sehr durch die Finger sehen; die Neigung zum Verzeihen würde ihnen nicht fehlen, wenn sie die entsprechende Erkenntnis davon hätten, wie sie selbst der Vergebung anderer bedürfen. Aus der Nachsicht mit ihren Fehlern geht ein schmeichlerischer Selbstbetrug hervor, der sie zu solch stirnrunzelnden Richtern über andere macht.

Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott, dem Vater, ist der: die Weisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen, und sich von der Welt unbefleckt halten. – Jakobus übergeht hier Seiten, die von höchster Wichtigkeit für die Religion sind. Aber es soll hier nicht eine allgemeine Begriffsbestimmung der Religion gegeben, sondern nur daran erinnert werden, dass es ohne diese hier bezeichnete Tätigkeit Frömmigkeit nicht gibt. Wenn etwa ein dem Wein und Rausch ergebener Mensch mit seiner Mäßigkeit prahlt und ein anderer demgegenüber behauptet, es sei Mäßigkeit, sich nicht toll und voll zu saufen, so wird ja des letzteren Absicht nicht sein, damit die Grenze der Mäßigkeit allseitig abzustecken, sondern er hebt nur eine Seite hervor, die augenblicklich interessiert. So ist es auch hier. Diese Leute eitlen Gottesdienstes, von denen hier die Rede ist, sind in der Hauptsache müßige Großtuer; deshalb lehrt uns Jakobus die Frömmigkeit nach anderen Gesichtspunkten werten als nach dem Pomp der Zeremonien – es gibt eben ernsthafte Tätigkeiten, mit denen Verehrer Gottes sich beschäftigen müssen. „Besuchen“ in der Not heißt die Hand bieten zur Erleichterung der Bedrückten. Da es aber noch viel mehr Menschen gibt, denen zu helfen Gott gebietet, so sind Witwen und Waisen hier nur beispielsweise genannt. Ohne Zweifel will Jakobus mit diesem einen Stück uns die allseitige Übung der Liebe ans Herz legen, als wenn er sagen wollte: Wer für fromm gelten will, der muss das in Selbstverleugnung, Barmherzigkeit gegen den Nächsten und Wohltätigkeit beweisen. Er sagt aber: „vor Gott“, um darauf hinzuweisen, dass es den Menschen, die durch den äußeren Schein ihr Urteil bestimmen lassen, ja zwar anders erscheine, aber das müsse unsere Frage sein: Was gefällt Gott?