Jakobus 1.12-15
Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche Gott verheißen hat denen, die ihn liebhaben. Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand. Sondern ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird. Darnach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wen sie vollendet ist, gebiert sie den Tod.
Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche Gott verheißen hat denen, die ihn liebhaben. – Nachdem Jakobus mit dem eben gegebenen Trost den Schmerz derer besänftigt, die in dieser Welt schlecht behandelt werden, und anderseits die stolze Vermessenheit der Großen gedemütigt hat, zieht er nun den Schluss: Die sind selig, die großen Sinnes Sorgen und andere Versuchungen ertragen und sich siegreich daraus hervorarbeiten. Unter der Anfechtung könnte man wohl auch die versuchende, uns innerlich reizende Lust verstehen; aber ich halte dafür, dass hier die Tapferkeit im Unglück ihr Lob finden soll, so dass die überraschende Aussage entsteht: Nicht die, welchen alles nach Wunsch gelingt, seien glücklich, wie man gewöhnlich meint, sondern die, welche vom Unglück sich nicht überwinden lassen. Der Satz „denn nachdem er bewährt ist“ gibt den Grund der vorangehenden Behauptung an: Durch Kampf zur Krone. Daraus ergibt sich der logische Schluss: Ist es höchste Seligkeit, im Reich Gottes mit der Krone bedacht zu werden, so sind die von Gott zur Übung uns gesandten Kämpfe Hilfen unseres Glücks. Wir haben es also mit einem vom Zweck, von der erreichten Wirkung ausgehenden Schluss zu tun. Es fällt daraus ein Licht auf die Tatsache, dass die Gläubigen durch eine solche Fülle von Übeln in Atem gehalten werden: Ihre Frömmigkeit, ihr Gehorsam sollen dadurch offenbar werden; so sollen sie zum Empfang der Lebenskrone erst bereitet werden. Übrigens ist es ein ganz törichter Irrtum, wenn man aus diesem Verse meint schließen zu können, wir verdienten durch unseren Kampf die Krone. Denn wenn Jakobus nun hinzufügt, sie sei verheißen denen, die Gott lieben, so will er nicht behaupten, die Liebe des Menschen sei der Grund der göttlichen Anerkennung; denn Gott kommt doch immer mit Seiner Liebe uns zuvor. Nur darauf will er hinweisen, dass in der Liebe eines Menschen zu Gott erst der Erweis Seiner Erwählung liegt. Jakobus gibt indessen zu bedenken: Siegreich in allen Anfechtungen seien die Leute, welche Gott lieben, und unsere Mutlosigkeit in der Versuchung habe nur im Vorwiegen der Weltliebe bei uns den Grund.
Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand. – Hier ist nun zweifellos von einer andersartigen Versuchung die Rede. Es ist ganz klar, dass alle äußeren Versuchungen oder Anfechtungen, von denen bisher die Rede war, uns von Gott geschickt werden. In diesem Sinne versuchte Gott den Abraham (1. Mose 22) und versucht Er uns noch täglich, das heißt Er bringt unsere innere Art an den Tag durch einen uns in den Weg geworfenen Anlass zur Offenbarung unseres Herzens. Aber ganz verschieden von diesem Herauslocken dessen, was im Schrein des Herzens verborgen ist, ist die Erregung der Seele durch schlechte Lüste. Hier handelt es sich also um die inneren Versuchungen, die nichts anderes sind, als die unzähligen Triebe, die uns zur Sünde reizen. Mit allem Grund lehnt Jakobus ab, dass Gott ihr Erreger sei; fließen sie doch aus dem eigenen, verderbten Fleisch. Jakobus macht damit einen sehr notwendigen Vorbehalt: Ist es doch unter den Menschen nur zu sehr gang und gäbe, die Schuld der begangenen, bösen Taten anderen zuzuschreiben; und dann glauben sie am meisten, sich gereinigt zu haben, wenn sie die Schuld auf Gott abladen. Diese vom ersten Menschen überlieferte Kunst der Ausflüchte befolgen wir eifrigst. Deswegen holt uns Jakobus zum Bekenntnis unserer eigenen Schuld heran, damit wir nicht Gott an unsere Stelle schieben, als wenn Er uns zur Sünde angetrieben hätte. Freilich scheint die ganze Schriftlehre diesem Satz zu widersprechen, die doch sagt, dass die Menschen von Gott geblendet, in widerspenstigen Sinn hineingeworfen, in das schmachvolle Joch hässlicher und schlechter Lüste hineingetan werden. Demgegenüber sage ich: Vielleicht hat die Tatsache, dass die Gottlosen aus Schriftstellen ihre Meinung als die der Bibel zu erhärten sich unterfangen, den Jakobus gerade veranlasst, ausdrücklich zu verneinen, dass Gott uns versuche. Zweierlei muss man hier beachten: Wenn die Schrift Gott zuschreibt, dass Er die Herzen verblende oder verstocke (2. Mose 9.12), so teilt sie Ihm weder den Anfang zu, noch auch macht sie Ihn zum Urheber des Schlechten, so dass Er die Schuld tragen müsste. Auf diesen beiden Punkten besteht Jakobus allein. Die Schrift sagt freilich, dass die Bösen von Gott in schlechte Lüste dahingegeben werden (Römer 1.26). Aber heißt dies, dass Gott ihr Herz verderbe und verführe? Weit gefehlt! Denn deswegen unterwirft Er es der verderbten Lust, weil es schon verführt und lasterhaft war. Oder ist Gott der Sünde Urheber oder Diener, wenn Er verblendet oder verstockt? Er rächt ja gerade die Sünden auf diesem Wege und teilt den Gottlosen, die von Seinem Geist sich nicht wollen regieren lassen, den gerechten Lohn zu. Weder hat also die Sünde ihren Ursprung in Gott, noch kann man Ihm die Schuld zuschreiben, als ob Er an dem Bösen sein Vergnügen hätte. Summa: Es ist eine ganz vergebliche Ausflucht, wenn der Mensch seine Schuld auf Gott zurückzuschieben sucht; es kommt ja doch alles Böse nur aus der einen Quelle der widernatürlich verkehrten Lust des Menschen. So verhält es sich offenbar: Nicht anderswoher empfangen wir den Antrieb, sondern die eigene Neigung ist für jeden Führer und Treiber. Dass aber Gott niemand versucht, erhellt daraus, dass Er vom Bösen nicht versucht wird. Denn deswegen reizt uns der Teufel zur Sünde, weil er selbst ganz von unheimlicher Gier zu sündigen brennt. Gott aber hat keine Neigung zum Bösen, also ist Er auch kein Urheber böser Taten bei uns.
Wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird. – Da Bewegung und Trieb zum Bösen innerlich sind, so sucht der Sünder vergeblich, vom äußeren Anlass her einen Vorwand zur Entschuldigung zu gewinnen, obgleich auch diese zwei Wirkungen der Lust zu bemerken sind, dass sie uns mit Lockungen ködert und uns hinreißt – jede einzelne dieser Wirkungen reicht hin, uns schuldig zu machen.
Darnach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wen sie vollendet ist, gebiert sie den Tod. – „Lust“ nennt Jakobus hier nicht irgendeinen Trieb, sondern den Quell aller Triebe. Bei ihr, sagt er, finde eine böse Empfängnis statt, die endlich zur Geburt der Sünde führt. Er scheint aber den Begriff Sünde in uneigentlicher und von der Schrift sonst nirgends befolgter Weise auf äußerliche Werke zu beschränken, als wenn die böse Lust selbst an sich keine Sünde, als wenn auch verderbte Wünsche, die aber inwendig verschlossen und unterdrückt bleiben, nicht ebenso viele Sünden wären. Da aber der Gebrauch des Wortes vielfältig ist, so hat es nichts gegen sich, es hier für die Tatsünde zu nehmen, ähnlich wie an anderen Stellen auch. Unklug ist es, wenn die Papisten diese Stelle aufgreifen, um daraus zu beweisen, dass die lasterhaften, ja scheußlichen, verbrecherischen und mehr als gottlosen Lüste keine Sünde seien, wenn nur nicht die ausdrückliche Willenszustimmung hinzutrete. Jakobus erwägt ja gar nicht die Frage, wann die Sünde, sofern sie Sünde ist und dafür von Gott angesehen wird, zu entstehen anfange, sondern wann sie ans Licht trete. So nämlich schreitet er stufenweise aufwärts: Der Vollzug der Sünde ist Ursache des ewigen Todes; die Sünde entsteht aus den unerlaubten Wünschen; die Wünsche haben schon ihre Wurzel in der Lust. Im ewigen Verderben ernten die Menschen also die Frucht, die sie selbst erzeugt haben. Unter der Sünde, die vollendet ist, verstehe ich daher nicht nur eine einzelne, vollbrachte Tat, sondern den zum Schluss gekommenen Verlauf der Sünde. Denn obwohl jede einzelne Sünde den Tod verdient hat, heißt er doch der Sold des gottlosen und verbrecherischen Lebens. So wird der Wahn derer widerlegt, die aus diesem Wort den Schluss ziehen: Eine Todsünde sei erst dann vorhanden, wenn sie in eine äußere Handlung ausgebrochen sei; denn das behandelt Jakobus gar nicht, nur darüber verbreitet er sich, dass er die Wurzel unseres Verderbens als in uns selbst liegend aufdeckt.