Jakobus 1.9-11
Ein Bruder aber, der niedrig ist, rühme sich seiner Höhe; und der da reich ist, rühme sich seiner Niedrigkeit; denn wie eine Blume des Grases wird er vergehen. Die Sonne geht auf mit der Hitze, und das Gras verwelkt, und seine Blume fällt ab, und seine schöne Gestalt verdirbt: also wird der Reiche in seinen Wegen verwelken.
Ein Bruder aber, der niedrig ist, rühme sich seiner Höhe. – Ebenso wie Paulus in 1. Korinther 7.22 verfährt hier Jakobus. Paulus ermahnt die Sklaven, ihr Los mit Gleichmut zu ertragen, indem er sie auf den Trost hinweist, dass sie Freigelassene Gottes seien, durch Seine Gnade befreit aus der erbarmungswürdigen Knechtschaft des Satans, während er den Freien vorhält, dass sie sich erinnern müssen, Knechte Gottes zu sein. In demselben Sinne heißt Jakobus die Niedrigen sich des rühmen, dass Gott sie als Kinder angenommen, die Reichen aber des, dass sie zurechtgebracht wurden, indem sich ihnen die Welt als eitel erwies. Er möchte also, dass die Einen mit ihrem niedrigen, gemeinen Stande zufrieden seien, während er den Anderen verbietet, sich zu überheben. Angesichts dieser höchsten und unvergleichlichen Begnadigung, die uns in die Gesellschaft der Engel aufnimmt, ja sogar zu Miterben Christi macht, wird gewiss der, der eine solche Gnadengabe Gottes nur wirklich nach ihrem Wert schätzt, gegen alles übrige gleichgültig sein. Also, weder Armut noch Verachtung noch Blöße noch Hunger noch Durst können sein Gemüt bedrücken, dass nicht dieser Trost ihn aufrecht hielte: Hat Gott mir die Hauptsache gegeben, so muss ich den Mangel an Geringerem mit Gleichmut tragen. Jetzt verstehen wir, wie ein niedriger Bruder sich seiner Höhe rühmen soll: Hat er doch mit der Gnade Gottes in dem einzigen Umstand, dass er als Kind und Erbe angenommen ward, einen vollauf genügenden Trostgrund, um sich durch einen minder gedeihlichen, irdischen Lebensstand nicht übermäßig bedrücken zu lassen.
Und der da reich ist, rühme sich seiner Niedrigkeit. – Jakobus nennt nur beispielsweise eine Gruppe aus einer ganzen Gattung von Menschen. Denn diese Mahnung bezieht sich auf alle, die durch Ehre, Adel oder andere Vorzüge hervorragen. Ihnen befiehlt er, sich der Niedrigkeit und Kleinheit zu rühmen. Er will damit jene hochmütigen Geister beugen, die durch ihr Glück sich aufblasen lassen. Von Niedrigkeit spricht er, weil die Offenbarung des Himmelreichs uns zur Verachtung der Welt bringen muss, nämlich zu der Erkenntnis, dass alles früher so Bewunderte nichtig oder doch nur sehr dürftig sei. Denn Christus, der freilich nur der Kleinen Lehrer ist, zähmt mit Seiner Lehre jeden Fleischesstolz. Damit also die leere Weltfreude nicht die Reichen ergreife, mögen sie sich daran gewöhnen, des Sturzes ihrer Fleischesherrlichkeit sich zu rühmen.
Wie eine Blume des Grases wird er vergehen. – Es mag sein, dass Jakobus hier auf Worte des Propheten Jesaja (40.6 ff.) anspielt. Dass er dieselben aber als ausdrückliches Zeugnis zitiere, kann ich nicht zugeben. Denn der Prophet redet nicht allein von Glücksgütern und vom nichtigen Schein der Welt, sondern vom ganzen Menschen, und zwar nicht minder von der Seele als vom Leibe. Hier aber handelt es sich um den hohlen Schein von Schätzen und Gütern. Die Hauptsache aber ist: Das Rühmen über Reichtümer, die im Nu zerstieben, ist töricht und verkehrt. Die Philosophen sagen das freilich auch, aber sie singen ihr Lied tauben Ohren vor; erst muss der Herr die Ohren öffnen für den Klang der Ewigkeit des Himmelreiches. Deswegen redet Jakobus (Vers 9) zu seinem Bruder; er deutet an, dass erst dann sein Wort eine Stätte finde, wenn wir aufgenommen sind in den Stand der Kinder Gottes.