GALATER

Galater Kapitel 3 Teil I

Galater 3.1-5

O ihr unverständigen Galater, wer hat euch bezaubert, dass ihr der Wahrheit nicht gehorcht? Welchen Christus vor die Augen gemalt war, als wäre er unter euch gekreuzigt. Das will ich allein von euch lernen: Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben? Seid ihr so unverständig? Im Geist habt ihr angefangen, wollt ihr’s denn nun um Fleisch vollenden? Habt ihr denn so viel umsonst erlitten? Ist’s anders umsonst. Der euch nun den Geist reicht und tut solche Taten unter euch, tut er’s durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben?

 

O ihr unverständigen Galater. – Paulus fügt zur Lehre einen Tadel oder schiebt ihn vielmehr mitten hinein. Sollte sich jemand wundern, warum er ihn nicht bis ans Ende aufgeschoben hat, so ist zu erwidern, dass die vorgetragenen ernsten Sätze den Apostel in plötzliche Aufwallung versetzt haben. Denn welches fromme Gemüt sollte sich nicht empören, wenn es vernimmt, dass man den Sohn Gottes mit allen Seinen Gütern verwirft und Seinen Tod für nichts achtet? Die Galater sind unverständig, das heißt von Sinnen gekommen, wenn sie in solche Schändung des Heiligen sich haben hineinverwickeln lassen. Paulus beschuldigt sie nicht bloß, dass sie sich haben täuschen, sondern dass sie durch eine gleichsam zauberhafte Einwirkung sich haben fangen lassen, was weit schlimmer ist. Er deutet damit an, dass ihr Fall mehr auf Wahnsinn als auf Torheit beruht. Und allerdings ist es ein finsteres Rätsel, wie bei solcher Klarheit des Evangeliums das Blendwerk des Teufels Eingang finden kann. Wie durch eine Bezauberung sind die törichten Galater nicht nur überhaupt, sondern mit überraschender Schnelligkeit zum Abfall gebracht worden, obgleich Paulus ihnen so kräftig, klar, innig und wirksam gepredigt hatte!

Welchen Christus vor die Augen gemalt war. – Dies mehrt die Schuld der Galater. Denn je bekannter uns Christus war, desto schlimmer ist das Verbrechen des Abfalls. So groß war nun die Klarheit der Predigt des Paulus, dass sie nicht sowohl eine bloße Lehre bot, sondern ein lebendiges und treues Bild Christi. So empfingen die Galater eine Erkenntnis, die der Anschauung nahe kommt. Paulus vergleicht also seine Predigt, um ihre Kraft zu zeigen, zuerst einem Gemälde, welches das Bild Christi ihnen lebendig vor Augen gestellt hat, dann fügt er, mit diesem Vergleich nicht zufrieden, hinzu: So lebendig wurde Christus euch vorgemalt, als wäre er unter euch gekreuzigt; also der gegenwärtige Anblick des Todes Christi hätte keinen stärkeren Eindruck hervorbringen können als die Predigt des Paulus. Andere übersetzen freilich: Christus ward als der Gekreuzigte „öffentlich proklamiert“. Aber die Übersetzung „vor Augen gemalt“ ist ebenso gut sprachlich möglich und passt sachlich ganz ausgezeichnet. Eine so lebendige Vergegenwärtigung, wie sie in diesem Ausdruck liegt, bringt keine Beredsamkeit mit noch so glänzenden Farben zustande, wenn nicht die Wirksamkeit des Heiligen Geistes hinzukommt (vergleiche 1. Korinther 2.4 & 12; 1. Korinther 12.3.; 2. Korinther 3.6). Daher sollen die, welche das Amt des Evangeliums ordentlich verwalten wollen, nicht nur sprechen und rufen lernen, sondern auch ins Innere der Gewissen eindringen, damit dort ein Gefühl davon entsteht, wie Christus für uns gekreuzigt ward und wie Er Sein Blut für uns vergoss. Wo die Kirche solche Maler hat, bedarf sie nicht der toten Bilder von Holz oder Stein; ohne Zweifel haben dieselben erst dann ihren Einzug gehalten, als die wahre Kraft des Predigtamtes erloschen war.

Das will ich allein von euch lernen. – Jetzt erst kehrt die Rede zur weiteren Begründung zurück. Zuerst erinnert Paulus an die eigene Erfahrung der Galater, wie das Evangelium bei ihnen seinen Anfang nahm: Als sie es hörten, empfingen sie den Heiligen Geist; sie mussten also den Empfang dieses Gutes dem Glauben und nicht dem Gesetze zuschreiben. Desselben Beweisgrundes bedient sich Petrus, wenn er sich bei den Brüdern entschuldigt, dass er die Unbeschnittenen getauft habe (Apostelgeschichte 10.47). Ebenso verfuhren Paulus und Barnabas im Streit über die Beschneidungsfrage zu Jerusalem (Apostelgeschichte 15.12 ff.). Es ist also offenbare Undankbarkeit, wenn die Galater nicht in der Lehre verharren, durch die sie den Heiligen Geist empfangen hatten. Die Antwort auf seine Frage überlässt nun Paulus den Lesern selbst, nicht weil er zweifelt, sondern weil er sehr genau weiß, wie sie ausfallen muss. Durch ihr Gewissen überführt, konnten die Galater ja nur in seinem Sinne antworten. – Eine Predigt vom Glauben heißt das Evangelium, wie in Römer 3.27 ein „Gesetz des Glaubens“, weil uns darin lauter Gnade Gottes durch Christus angeboten wird, ohne alle Rücksicht auf Verdienst der Werke. Unter dem Geist verstehe ich hier die Gnade der Wiedergeburt, die allen Gläubigen gemeinsam ist. Doch kann man auch an die besonderen geistlichen Gaben denken, mit denen damals der Herr die Predigt des Evangeliums begleitete. Auf den Einwurf, dass der Geist in dieser Weise nicht allen geschenkt worden sei, wäre dann zu antworten, dass es für den Zweck des Apostels genügte, wenn die Galater wussten, wie in ihrer Gemeinde die Kraft des Heiligen Geistes bei seiner Predigt offenbar geworden, und die Gläubigen zur Erbauung der Gesamtheit mit den Gaben des Geistes mannigfach ausgestattet wurden. Immerhin dürfte sich am meisten die erstere Annahme empfehlen, dass die Gemeinde insgesamt die Gabe der Gotteskindschaft besaß, bis die Lügenlehrer ihre falschen Zusätze einbrachten. So heißt es auch in Epheser 1.13: Als ihr das Wort der Wahrheit hörtet, seid ihr mit dem Heiligen Geiste versiegelt worden.

Seid ihr so unverständig? – Unverständig sind die Galater, weil sie auf einen Anfang im Geist, da ihnen eben die Predigt des Evangeliums den Besitz des Geistes brachte, jetzt auf die Stufe des Fleisches herabgestiegen sind. Unter „Fleisch“ haben wir an allerlei wertlose Äußerlichkeiten zu denken, wie ja Zeremonien vollends ihre Bedeutung einbüßen, wenn man sie von Christis loslöst, und an die entsprechende tote und kraftlose Unterweisung.

Habt ihr denn so viel umsonst erlitten? – Ein zweiter Grund: Da die Galater so vieles um des Evangeliums willen erlitten hatten, sollten sie nicht dieses alles jetzt in einem Augenblick verlieren. Tadelnd hält ihnen Paulus vor, ob wirklich alle diese herrlichen Kämpfe für den Glauben nun vergeblich gewesen sein sollen? Hätte ihnen Paulus nicht den rechten Glauben verkündigt, so wäre es ja Tollkühnheit gewesen, zur Verteidigung einer schlechten Sache derartiges zu erdulden. Nun aber hatten sie Gottes Beistand in diesen Verfolgungen erfahren dürfen. Um welch herrliche Güter hatte also der Neid der Lügenapostel die Galater betrogen! Übrigens mildert Paulus die Schärfe seiner Aussprache, indem er verbessernd fortfährt: Ist‘s anders umsonst. Damit richtet er die gedemütigten Herzen zu neuer Hoffnung auf und öffnet ihnen den Weg zur Umkehr. Denn dies ist der Zweck jeglichen Tadels, nicht die Menschen in Verzweiflung zu stürzen, sondern sie für das Bessere zu gewinnen.

Der euch nun den Geist reicht. –  Der euch nun den Geist reicht. Jetzt ist nicht mehr von der Wiedergeburt die Rede, sondern von den übrigen Geistesgaben. Dass hier etwas Neues folgt, ergibt sich schon aus dem zwischenliegenden Einschub eines anderen Gedankens (Vers 4). So empfangen die Galater die Erinnerung, dass alle Gaben des Heiligen Geistes, durch die sie sich auszeichneten, Früchte des Evangeliums sind, wie es Paulus bei ihnen gepredigt hatte. Aller dieser Früchte beraubten sie sich also, wenn sie das Evangelium aufgaben und einer anderen Lehrart sich leichtsinnig zuwandten. Schätzten sie aber jene Gaben, unter welchen der Apostel ausdrücklich auch Wundertaten verrechnet, wirklich, so mussten sie auch unter allen Umständen das Evangelium festhalten.