Galater 1.10-14
Predige ich denn jetzt Menschen oder Gott zu Dienst? Oder gedenke ich Menschen gefällig zu sein? Wenn ich den Menschen noch gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht. Ich tue euch aber kund, liebe Brüder, dass das Evangelium, das von mir gepredigt ist, nicht menschlich ist. Denn ich habe es von keinem Menschen empfangen, noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi. Denn ihr habe je wohl gehört meinen Wandel weiland im Judentum, wie ich über die Maßen die Gemeinde Gottes verfolgte, und verstörte sie, und nahm zu im Judentum über viele meines gleichen in meinem Geschlecht, und ereiferte über die Maßen um das väterliche Gesetz.
Bisher hat der Apostel seine Predigt mit aller Zuversicht gepriesen, im Folgenden legt er dar, dass er das mit gutem Recht und nicht mit eitler Aufgeblasenheit getan. Er bringt zu dem Zweck zwei Gründe; zunächst einen aus seiner Gemütsstimmung heraus: Ich habe mich nicht in eitlem Ehrgeiz oder um zu schmeicheln, Menschen anbequemt. Eigentlich durchschlagend wirkt aber erst der zweite: Ich bin nicht selbst der Urheber des Evangeliums, sondern ich habe es von Gott empfangen und von Hand zu Hand treulich weitergegeben.
Predige ich denn jetzt Menschen oder Gott zu Dienst? – Hier redet Paulus noch nicht von dem Inhalt seiner Predigt, sondern von der Stellung seines Herzens, nach welcher er lieber auf Gott als auf Menschen Rücksicht nimmt. Allerdings entspricht auch die Lehre der Gemütsrichtung des Lehrers; denn wie einerseits durch Ehrgeiz, Habsucht oder irgendeine sündliche Begierde die Lehre verdorben wird, so bewirkt andererseits ein aufrichtiges Gewissen, dass die reine Wahrheit erhalten bleibt. Weil sich der Apostel nun nicht nach Menschen gerichtet hat, so darf uns das wohl einen Schluss auf die Gesundheit seiner Lehre nahelegen.
Oder gedenke ich Menschen gefällig zu sein? – Dieser zweite Satz unterscheidet sich lediglich insofern von dem vorigen, als er uns den tieferen Grund aufdeckt: Wer Menschen gefallen will, wird ihnen eben auch zu Dienst predigen. Wo aber dieser Ehrgeiz in unseren Herzen die Herrschaft hat, dass wir unsere Worte nach dem Wohlgefallen der Menschen einzurichten trachten, da können wir unmöglich lautere Lehrer sein. Von diesem Fehler frei und unberührt zu sein, darf Paulus nun bezeugen. Die Frageform zeugt dabei von besonderer Zuversicht. Es ist, als wollte sie den Gegner geradezu herausfordern, ob er etwas dagegen sagen könne. Welch ein gutes Gewissen über seine Amtsführung musste Paulus haben, dass er solche Sprache führen durfte, ohne einen Vorwurf fürchten zu müssen!
Wenn ich den Menschen noch gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht. – Ein denkwürdiger Satz: Die Ehrgeizigen, welche um die Gunst der Menschen buhlen, können nicht Christo dienen. Paulus redet aber ganz persönlich, weil er ja die Bekehrung von Menschendienst zum Gehorsam Christi an sich selbst erfahren hat und somit seinen früheren Lebenszustand mit dem jetzigen vergleichen kann. Er hatte die höchste Achtung genossen und fand weit und breit großen Beifall; er hätte also sein Leben nicht zu verändern brauchen, wenn ihm an der Menschen Wohlgefallen gelegen gewesen wäre. So ergibt sich denn hier die allgemeingültige Lehre: Wer Christo treulich dienen will, darf auf Menschengunst nichts geben. Dabei will freilich das Wort „Menschen“ noch genauer erwogen sein. Denn darauf sollen Christi Diener gewiss nicht ausgehen, geflissentlich allen Menschen zu missfallen. Vielmehr gilt es, zu unterscheiden. Leuten, welche Gefallen an Christo haben, sollen wir auch in Christo zu gefallen trachten. Leuten aber, welche ihre Neigungen über die wahre Lehre gesetzt zu sehen wünschen, dürfen wir durchaus nicht willfahren. So bleibt freilich frommen und rechtschaffenen Pastoren immer dieser Kampf, dass sie es für nichts achten müssen, Leute vor den Kopf zu stoßen, die immer durchaus auf ihrem Willen bestehen. An solchen Gleißnern und gottlosen Leuten wird es ja in der Kirche nie mangeln, welche ihren Willen über das Wort Gottes stellen. Und auch gut gesinnte Christen werden zuweilen vom Teufel in Versuchung geführt, dem Seelsorger wegen seiner nötigen Erinnerung zu zürnen, sei es aus Unwissenheit, sei es durch irgendeine Voreingenommenheit. So ist es unsere Pflicht, keinen Anstoß zu scheuen – wenn wir nur nicht schwache Gemüter durch unser Auftreten Christo entfremden.
Ich tue euch aber kund. – Jetzt erst folgt der Hauptbeweis, auf welchem alles ruht: Paulus hat das Evangelium nicht von Menschen empfangen, sondern durch Gottes Offenbarung. Um jeden Widerspruch gegen diese Behauptung zum Schweigen zu bringen, lässt sich der Apostel auf einen erläuternden Beweis ein, der einfach in Erzählung der Tatsachen besteht. Um aber diesem Bericht ein erhöhtes Gewicht zu verschaffen, schickt Paulus – ganz dem Ernst des Gegenstandes angemessen – voran, dass er nicht von ungewissen Dingen redet, sondern von einem Gegenstande, welchen zu vertreten er völlig bereit ist. Das von ihm gepredigte Evangelium ist nicht menschlich, weil es nicht nach Menschen schmeckt und nicht von Menschen zubereitet ward. Zum Beweis dafür fügt er sogleich hinzu, dass er nicht von einem irdischen Lehrer unterwiesen worden ist.
Denn ich habe es von keinem Menschen empfangen. – Ist denn dessen Ansehen geringer, der durch den Dienst eines Menschen sich unterweisen lässt, ehe er selbst lehrt? Das nicht, aber man muss bedenken, mit welchen Erfindungen die falschen Apostel den Paulus angriffen, dass er ein verstümmeltes und verfälschtes Evangelium von einem untüchtigen oder wenigstens unbekannten Lehrer empfangen habe und das schlecht verstandene jetzt mit Unbedacht weitergebe. Hingegen rühmten sie sich als Jünger der höchsten Apostel, deren innerste Gedanken sie voll verstanden hätten. So musste denn Paulus, um der ganzen Welt seine Lehre entgegenzustellen, dies zur Stütze gebrauchen, dass sie ihm von Gott geoffenbart sei und nicht durch den Unterricht eines Menschen übergeben. Sonst wäre er niemals gegen die Verleumdungen der falschen Apostel sicher gewesen. Gegen den Einwurf, er sei doch von Ananias (siehe Apostelgeschichte 9.10 ff.) belehrt worden, ist die Antwort leicht: Denn nichts steht dem im Wege, dass Gott auf der einen Seite den Apostel innerlich durch Offenbarungen belehrt, und andererseits, um dem Predigtamt seine Ehre zu lassen, eines Menschen Hilfe bei seiner Belehrung gebraucht hat. Ähnlich beobachteten wir schon oben (zu Galater 1.1), dass Paulus unmittelbar durch Gottes Erleuchtung berufen, und doch auch durch der Menschen Wahl und feierliche Einsetzung zum Amte verordnet ward: Beides widerspricht sich durchaus nicht.
Denn ihr habe je wohl gehört meinen Wandel weiland im Judentum, wie ich über die Maßen die Gemeinde Gottes verfolgte, und verstörte sie, und nahm zu im Judentum über viele meines gleichen in meinem Geschlecht, und ereiferte über die Maßen um das väterliche Gesetz. – Diese ganze Erzählung dient der Beweisführung. Paulus erwähnt die feindselige Richtung seines ganzen früheren Lebens gegen das Evangelium, um zu folgern: Also ist die Bekehrung durch Gott zustande gekommen. Und zwar nennt er Zeugen wie für eine ganz offenbare Sache, damit, was er sagt, gegen allen Zweifel festgestellt werde. Sagt er (in Vers 14), dass er im Judentum zunahm über viele meines Gleichen, so denkt er dabei an seine Altersgenossen, denn eine Vergleichung mit älteren würde nicht passen. Unter dem väterlichen Gesetz versteht er nicht jene Zusätze, durch die man das göttliche Gesetz entstellt hatte, sondern das Gesetz Gottes selbst, in welchem er von Kindheit an erzogen worden, und das er von Eltern und Großeltern von Hand zu Hand empfangen hatte. Da er den väterlichen Gebräuchen sehr zugetan war, war für ihn die Trennung davon nicht leicht und nur durch Gottes wunderbare Leitung möglich.