EPHESER

Epheser Kapitel 4 Teil II

Epheser 4.7-10

Einem jeglichen aber unter uns ist gegeben die Gnade nach dem Maß der Gabe Christi. Darum heißt es in Psalm 68.19: „Er ist aufgefahren in die Höhe und hat das Gefängnis gefangen geführt, und hat den Menschen Gaben gegeben“. Dass er aber aufgefahren ist, was ist’s, denn dass er zuvor ist hinuntergefahren in die untersten Örter der Erde? Der hinuntergefahren ist, dass ist der selbige, der aufgefahren ist über alle Himmel, auf dass er alles erfüllte.

 

Einem jeglichen aber unter uns ist gegeben die Gnade nach dem Maß der Gabe Christi. Nunmehr folgt eine Beschreibung des Mittels, durch welches Gott unsere gegenseitige Verbindung schützt und erhält: Gott schenkt nämlich niemandem eine solche Vollkommenheit, dass irgendjemand an sich selbst, getrennt von den anderen, genug hätte und mit sich selbst zufrieden sein könnte. Jeder hat nur sein bestimmtes Maß empfangen, so dass er nur in der Gemeinschaft sich selbst zu behaupten vermag. Über die Verschiedenheit der Gaben spricht Paulus auch in 1. Korinther 12.4 in fast derselben Absicht; er zeigt dort dass diese Verschiedenheit der Eintracht unter den Gläubigen nicht schadet, sondern vielmehr dazu dient, sie zu befestigen. Und auch an unserer Stelle wird uns vor allem eingeprägt, das Gott auf keinen Einzelnen alle seine Gaben häufte, sondern jedem nur seinen Teil gab, damit jeder des anderen bedürfen und seine Gaben zum gemeinen Besten anlegen sollte. Dabei enthält der Hinweis auf die Gnade nach dem Maß der Gabe Christi noch eine Mahnung zur Demut: Hätte uns Gott auch hervorragende Gaben geschenkt, so würden wir dadurch Seiner Gnade nur zu größerem Dank verpflichtet sein. Christus nennt aber der Apostel als Geber, obgleich er bisher sicherlich an den Vater dachte. Denn in Ihm will er alles, was wir sind und haben, zusammenfassen, wie wir sofort sehen werden.

Darum heißt es in Psalm 68.19: „Er ist aufgefahren in die Höhe und hat das Gefängnis gefangen geführt, und hat den Menschen Gaben gegeben“. Weil die Anwendung, die Paulus von dieser Stelle aus Psalm 68 macht, etwas von dem ursprünglichen Sinne abweicht, so beschuldigen ihn gottlose Leute, dass er die Schrift missbrauche. Ja, die Juden entwerten sogar diese Stelle, indem sie das, was von Gott ausgesagt wird, auf David oder das Volk beziehen, damit ihre Schmähungen mehr begründet erscheinen. Sie sagen: David oder das Volk sei in die Höhe gefahren, als er, durch zahlreiche Siege erhoben, über seine Feinde die Oberhand gewann. Wenn man aber diesen Psalm im Zusammenhang betrachtet, so findet man, dass er eigentlich allein von Gott handelt. Der ganze Psalm ist gleichsam ein Siegeslied, das David dem Herrn wegen der ihm geschenkten Siege singt. Das, was Gott durch seine Hand ausgeführt hat, gibt ihm dann Anlass, auch nebenbei zu erwähnen, welche Wunder Gott sonst noch zum Heil seines Volkes vollbrachte. Sein Ziel ist dabei zu zeigen, wie Gottes herrliche Macht und Güte in der Gemeinde offenbar geworden ist. Unter anderem sagt er auch Du bist in die Höhe gefahren. Dem Fleische erscheint es so, als wenn Gott stille liege und schlafe, wenn Er Seine Gerichte nicht öffentlich ausübt. Wenn die Gemeinde bedrückt wird, so ist Gott gewissermaßen erniedrigt; wenn Er aber Seinen rächenden Arm hebt, um sie zu befreien, so scheint Er Sich zu erheben, um den Richterstuhl zu besteigen. Es ist dies eine bekannte und geläufige Redeweise (z.B. auch Psalm 7.7; Psalm 18.47; Psalm 94.2), nach welcher hier die Befreiung der Gemeinde eine Erhöhung Gottes heißen kann. Da nun Paulus in diesem Psalm ein Triumphlied Davids über alle Siege Gottes erkannte, welche seiner Gemeinde Errettung brachten, so hat er mit Recht diesen Vers von der Erhöhung Gottes auf Christi Person angewandt. Denn das ist der größte Triumphzug, den Gott ausgeführt hat, als Christus, nachdem Er die Sünde besiegt hatte, den Tod überwunden, den Satan in die Flucht geschlagen hatte, in herrlicher Weise in den Himmel erhoben wurde, um als ein ruhmgekrönter Herrscher die Gemeinde zu regieren. Bis jetzt liegt also kein Grund vor für die Behauptung der Gegner, dass die Anwendung, die Paulus von dieser Stelle macht, in Widerspruch mit den Gedanken Davids stehe.

Hat das Gefängnis gefangen geführt. Gefängnis steht hier für gefangene Feinde. Der Sinn ist also einfach, dass Gott die Feinde in Seine Gewalt bringt; dass ward am vollkommensten in Christus erfüllt, denn Er hat nicht nur den Satan, die Sünde, den Tod und die ganze Hölle unterworfen, sondern bereitet sich täglich aus Aufrührern ein folgsames Volk, indem Er durch Sein Wort die Zuchtlosigkeit unseres Fleisches zähmt und ebenso Seine Feinde, d.h. alle Gottlosen, gleichsam mit eisernen Ketten gebunden hält, so dass sie nichts mehr können, als Er ihnen zulässt.

Das Folgende bietet größere Schwierigkeiten. Während nämlich im Psalm steht, dass Gott Gaben empfangen hat, sagt Paulus scheinbar ganz gegenteilig: Gott hat den Menschen Gaben gegeben. Doch auch hierin liegt nichts Unvernünftiges, da Paulus, wenn er eine Schriftstelle anführt, sie nicht wörtlich wiederzugeben pflegt, sondern sich oft damit begnügt die Stelle anzuführen, und dann nur den Inhalt berücksichtigt. Es ist aber klar, dass Gott nicht für sich selbst, sondern für Sein Volk die Gaben empfangen hat, von denen David hier redet.  Deshalb heißt es auch kurz vorher in dem Psalm, dass die Beute unter die Familie Israels ausgeteilt wurde. Da Gott also zu dem Zweck Gaben empfangen hat, um sie auszuteilen, so hat Paulus an der Sache selbst nichts geändert. Dabei empfiehlt sich vielleicht noch mehr die Annahme, dass unsere Worte gar nicht mehr als eigentliches Zitat aus dem Psalm gemeint sind, sondern ganz frei aussagen wollen, was sich nun im eigenen Gedankenzusammenhange ergibt. So hätten wir es mit einer Steigerung gegenüber der alttestamentlichen Vorlage zu tun, welche Gottes Erhebung in Christi Person viel herrlicher erscheinen lässt, als alle früheren Siehe für die Gemeinde. Denn wie viel größer ist es doch, wenn ein Sieger freiwillige Spenden austeilt, als wenn er von den Besiegten Beute nimmt. Wenn dagegen andere erklären (um einigermaßen innerhalb des Zitates zu bleiben), dass Christus vom Vater empfangen habe, was Er uns ausstellen soll, so erscheint dies als eine erzwungene Ausflucht.

Dass er aber aufgefahren ist, was ist’s, denn dass er zuvor ist hinuntergefahren in die untersten Örter der Erde? Wiederum beschuldigt man Paulus, dass er durch eine unwürdige und kindische Beweisführung das auf Christi wirkliche Erhöhung beziehe, was bildlich zur Verherrlichung der göttlichen Ehre gesagt ist. Man sagt: Steht, wie wir sehen, das Wort „aufgefahren“ ursprünglich im bildlichen Sinne, so scheint man ja daraus auch nicht schließen zu dürfen, dass zuvor ein Abstieg erfolgt sein müsse. Doch will ja Paulus durchaus nicht in streng logischer Folgerung aussprechen, was sich etwa notwendig aus dem alttestamentlichen Wort ergeben sollte. Er wusste recht wohl, dass David sinnbildlich von einer Erhöhung oder Auffahrt Gottes gesprochen hatte. Immerhin wird sich aber auch dabei denken lassen, dass Gott vor dieser Erhöhung sich gleichsam eine Zeit lang erniedrigt hatte. Welcher Abstieg Gottes war aber tiefer, als da Er sich in Christus erniedrigte? Hat sich Gott jemals scheinbar aus tiefster Verachtung erhoben, so ist dies sicherlich geschehen, als Christus aus dem Stande der Niedrigkeit, in welchem Er uns gleich war, zu himmlischer Herrlichkeit aufgenommen ward. Im Übrigen handelt es sich hier nicht um eine genaue wörtliche Erklärung des Psalms, da Paulus nur auf die Worte des Propheten anspielt, wie er auch in Römer 10.6 eine Stelle aus Moses seinem Zwecke anpasst. Dass aber Paulus nichts auf Christi Person bezieht, was eigentlich nicht dafür passt, beweist uns der Schluss des Psalms. Denn dort sehen wir deutlich, dass alles, was David in diesem Psalm singt, auf Christi Reich zielt. Dieser Schluss ist eine deutliche Weissagung von der Berufung der Heiden.

In die untersten Örter. Mit Unrecht beziehen einige Ausleger diesen Ausdruck auf die Vorhölle oder das Totenreich. Es ist lediglich an den Aufenthalt in diesem Erdenleben gedacht. Der Ausdruck vergleicht nicht einen Ort der Erde mit einem noch tieferen, sondern stellt die Erde als Ganzes im Gegensatz zum Himmel. Von diesem erhabenen Sitze ist Christus zu unserem tiefen Abgrunde, d.h. zu Erde, herabgestiegen.

Über alle Himmel – d.h. über die ganze erschaffene Welt. Denn wenn es von Christus heißt, dass Er im Himmel ist, so dürfen wir das nicht so verstehen, als wenn Er am Himmelsgewölbe säße, um etwa die Sterne zu zählen. Vielmehr ist dieser Himmel ein über das Himmelsgewölbe hoch erhabener Ort, der dem Sohne Gottes nach Seiner Auferstehung zugewiesen ward – und doch nicht ein wirklicher Ort außerhalb der Welt. Unsere Sprache kann ja aus ihrem Rahmen nicht heraus, wenn sie vom Himmelreich redet. Freilich darf man daraus auch nicht die Folgerung ziehen, dass Christus nicht leiblich von uns entfernt sei, weil die Erhabenheit über alle Himmel gleichbedeutend mit der Auffahrt in den Himmel sein soll. Denn wenn die Schrift Christus im Himmel oder über den Himmeln sein lässt, so will sie von Seiner jetzigen Existenzweise jedenfalls alles ausschließen, was unter Sonne und Sternen, d.h. im Bereich der ganzen sichtbaren Schöpfung, liegt.

Auf dass er alles erfülle. Das ist schwerlich so gemeint, dass Christus durch Seine Auffahrt und den Eintritt in die Ihm vom Vater übergewiesene himmlische Herrschaft vermöge Seines Weltregimentes nun alles zur Vollendung bringen soll, was ja „erfüllen“ allenfalls heißen könnte! Viel schlagender wird der Gedanke, wenn die beiden scheinbar und doch nicht tatsächlich widerstrebenden Ausdrücke auf einander bezogen werden: Christus ist gen Himmel gefahren, als scheinbar (und nach seiner menschlichen Gegenwart auch wirklich) von uns fern – aber doch nur so, dass Er mit der Kraft Seines Geistes jetzt alles erfüllt. Denn so weit Gottes Rechte reicht, die Himmel und Erde umfasst, erstreckt sich auch Christi geistliche Gegenwart, und ist Er selbst gegenwärtig mit Seiner unermesslichen Macht – wenngleich Sein Leib nach dem Worte des Petrus (siehe Apostelgeschichte 3.21) den Himmel einnehmen muss. Wir sehen also, dass dieser scheinbare Widerspruch einen sehr guten Sinn gibt: Christus ist aufgefahren, aber um Himmel und Erde zu erfüllen – während Er früher auf einen kleinen Raum beschränkt war. Aber erfüllte Er nicht auch schon früher alles? Gewiss, ich gestehe es, mit Seiner Gottheit: Aber die Kraft Seines Geistes hat Er früher nicht so ausgeübt, als nach Antritt Seiner Herrschaft. Heißt es doch in Johannes 7.39: Der Geist war noch nicht da, denn Christus war noch nicht verklärt. Und in Johannes 16.7: Es ist euch gut, dass ich hingehe, denn so ich nicht hingehe, kommt der Tröster nicht. Kurz, wie Er seitdem erst zur Rechten des Vaters sitzt, so hat Er auch seitdem angefangen, alles zu erfüllen.