1. Petrus 2.1-5
So leget nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alles Afterreden; und seid begierig nach der vernünftigen lautern Milch als die jetzt geborenen Kindlein, auf dass ihr durch dieselbige zunehmet, so ihr anders geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist, zu welchem ihr gekommen seid als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen, aber bei Gott ist er auserwählet und köstlich. Und auch ihr, als die lebendigen Steine, bauet euch zum geistlichen Hause und zum heiligen Priestertum, zu opfern geistliche Opfer, die Gott angenehm sind durch Jesus Christus.
An die Erinnerung, dass die Gläubigen durch Gottes Wort neugeboren wurden, schließt sich die Mahnung, dass sie ein Leben führen sollen, welches dieser Geburt entspricht. Gilt doch das Wort des Paulus (Galater 5.25): „So wir im Geiste leben, so lasset uns auch im Geiste wandeln.“ Es genügt nicht, dass wir einmal vom Herrn erneuert wurden; wir müssen auch leben, wie es neuen Kreaturen geziemt. Dies ist der Hauptgedanke. Was aber die Ausdrucksweise angeht, so setzt der Apostel seine bildliche Rede fort. Weil wir neugeboren sind, mutet er uns ein kindliches Leben zu. Er will damit sagen, dass man den alten Menschen mit seinen Werken ausziehen muss. Seine Ausführungen decken sich mit Christi Wort (Matthäus 18.3): „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ Es wird diese kindliche Art dem Wesen des alt gewordenen Fleisches entgegengestellt, welches der Verderbnis entgegengeht. Unter der „Milch“ werden dann alle Bestrebungen des geistlichen Lebens verstanden. Denn auch in diesem Stück besteht ein Gegensatz zwischen den Lastern, welche der Apostel aufzählt, und der vernünftigen Milch. Er will etwa sagen: Bosheit und Heuchelei gehören solchen Leuten zu, die sich an die Verderbtheit der Welt gewöhnt und viele Laster eingesogen haben; dem kindlichen Stande dagegen gebührt eine klare, von aller List freie Einfalt. Wenn Menschen lang leben, gewöhnen sie sich an Neid, lernen sich gegenseitig befehden und werden in der Kunst unterwiesen, Schaden zu stiften; zuletzt werden sie in allen Lastern alt und geübt. Das kindliche Alter dagegen fasst noch nicht, was es heißt, Neid hegen, auf Schaden ausgehen usw. Der Apostel vergleicht also die Laster, in welchen das alt gewordene Fleisch geübt ist, mit starken Speisen. Dagegen wird als Milch eine Lebensart bezeichnet, die dem unschuldigen Stande der Natur und der einfältigen Kindheit entspricht.
So leget nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alles Afterreden. – Es werden nicht alle Dinge vollständig aufgezählt, die wir ablegen müssen. Wenn die Apostel vom alten Menschen reden, geben sie vielmehr beispielsweise nur gewisse Laster an, die für seine ganze Art charakteristisch sind. So sagt Paulus (Galater 5.19): „Offenbar sind die Werke des Fleisches“ – und führt sie doch keineswegs alle an, sondern lässt uns die ungeheure Menge, die aus unserm Fleisch herausquillt, wie in einem Spiegel schauen. So will auch hier Petrus etwa sagen: Legt die Früchte des alten Lebens ab, als da sind Bosheit, Betrug, Heuchelei, Neid und dergleichen Dinge, und lenkt euren Eifer in die entgegengesetzte Richtung: Strebt nach Gütigkeit, Zuverlässigkeit, Bescheidenheit! Kurz, er zielt darauf, dass aus dem neuen Lebensstande auch eine neue Lebenshaltung erwachsen soll.
Seid begierig nach der vernünftigen lautern Milch. – Gewöhnlich deutet man: Milch der Vernunft, das heißt der Seele. Dann würde der Apostel darauf aufmerksam machen, dass er nicht von körperlicher Milch rede, sondern sich bildlich ausdrücke. Ich glaube indes, dass der Ausdruck zusammenstimmt mit jenem Wort des Paulus (1. Korinther 14.20): „Werdet nicht Kinder an dem Verständnis, sondern an der Bosheit.“ Damit niemand meine, der Apostel wolle einen kindlichen Stand empfehlen, dem es an Einsicht gebricht und der sich mit lauter Torheiten beschäftigt, schiebt er einen Riegel vor: Wenn ich davon spreche, dass ihr nach einer lauteren, unverfälschten Milch begierig sein sollt, so meine ich doch eine solche, die mit vernünftiger Einsicht gewürzt ist. Jetzt verstehen wir, warum diese beiden Eigenschaftswörter zusammengestellt werden: „vernünftig“ und „lauter“. Scheinen sich doch Einfalt und Klugheit auszuschließen. Sie sollen aber derart gemischt werden, dass die Einfalt nicht unklug wird, noch an die Stelle der Klugheit boshafte Verschlagenheit sich einschleicht. Es soll eine rechte Mischung statthaben nach dem Wort Christi (Matthäus 10.16): „Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.“ So löst sich auch ein Einwand, der sonst gemacht werden könnte. Paulus wirft den Korinthern vor, dass sie jungen Kindern gleichen, die feste Speise nicht vertragen können und die man darum mit Milch nähren muss (1. Korinther 3.1). Ungefähr in dem gleichen Sinne begegnet das Bild im Hebräerbrief (5.12). Bei derartigen Aussagen aber schweben Leute vor, die wie Kinder in der Erkenntnis der Frömmigkeit nicht vorwärtsgekommen sind, immer bei den ersten Anfangsgründen stehen bleiben und niemals zu einer tieferen Erkenntnis Gottes durchdringen. „Milch“ heißt dann eine rohere und kindliche Art der Unterweisung, da eben niemals ein Fortschritt über die ersten Elemente hinaus gemacht wird. Mit Recht betrachten sowohl Paulus als der Verfasser des Hebräerbriefes dies als einen tadelnswerten Zustand. Hier aber bedeutet Milch nicht einen solchen Elementarunterricht, bei dem man immer lernt, ohne jemals zur Erkenntnis der Wahrheit zu kommen, sondern eine Lebensführung, der man die Art der neuen Geburt abspürt, indem wir uns der Erziehung des Herrn überlassen. Ebenso bezeichnet der Stand der Kindlein nicht einen Gegensatz zum Stand des vollkommenen und männlichen Alters Christi, wie Paulus sich einmal ausdrückt (Epheser 4,13), sondern zu dem alten Wesen des Fleisches und dem früheren Lebenswandel. Wie dieser Kindesstand des neuen Lebens niemals ein Ende nimmt, so legt Petrus uns auch ans Herz, dass wir uns immer mit Milch nähren sollen. Dabei sollen wir zu immer größerer Reife heranwachsen.
So ihr anders geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist, zu welchem ihr gekommen seid, als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen, aber bei Gott ist er auserwählet und köstlich. – Das ist eine Anspielung an das Wort des Psalms (34.9): „Schmeckt und seht, wie freundlich der Herr ist.“ Und der Apostel gibt zu verstehen, dass wir diesen Geschmack in Christus gewinnen. Denn sicherlich wird unsere Seele nur bei Ihm Ruhe finden. Es wird nun die Erfahrung der Güte Gottes zur Unterlage für die Ermahnung. Denn Seine Freundlichkeit, die wir in Christus erleben dürfen, muss uns locken. Auch die Fortsetzung: Zu welchem ihr gekommen seid usw. bezieht sich nicht einfach auf Gott, sondern beschreibt Ihn, wie Er in Christi Person sich offenbart hat. Haben wir aber eine ernstliche Erfahrung von Gottes Gnade gemacht, so kann es nicht anders geschehen, als dass Er uns ganz an sich zieht und mit Seiner Liebe erwärmt. Sagt doch dies schon Plato von seiner Idee des Guten und Schönen, die er doch nur wie einen Schatten aus der Ferne schaute. Wie viel mehr trifft es auf Gott zu! Es ist also bemerkenswert, dass Petrus das Kommen zu Gott mit dem Schmecken Seiner Güte verbindet. Denn so lange der menschliche Verstand sich einen harten und strengen Gott vorstellt, muss er notwendig vor Ihm schaudern und fliehen; sobald dagegen Gott selbst den Gläubigen Seine väterliche Liebe aufschließt, bleibt nichts übrig, als dass sie alles andre liegen lassen, ja sogar sich selbst vergessen und Ihm entgegeneilen. Alles in allem: Die rechten Fortschritte im Evangelium hat nur ein Mensch gemacht, der mit seinem Herzen zu Gott naht. Zugleich aber zeigt der Apostel, zu welchem Zweck und in welcher Weise wir zu Christus nahen müssen; wir sollen uns auf ihn gründen. Da Er zum Eckstein bestellt ist, muss Er als solcher Seine Kraft an uns beweisen, damit, was der Vater Ihm aufgetragen hat, nicht vergeblich und unnütz werde. Der Apostel begegnet nun einem Anstoß, indem er von diesem Stein zugesteht, dass Er von den Menschen verworfen ward. Denn weil ein guter Teil der Welt Christus verschmäht, viele sich geradezu vor Ihm entsetzen, so könnte dies auch uns zum Anlass werden, Ihn zu verachten. Sehen wir doch, dass manche unerfahrenen Leute dem Evangelium den Rücken kehren, weil es nicht überall Beifall findet und seine Bekenner nicht beliebt macht. Petrus aber erklärt, dass wir Christus doch nicht geringer schätzen dürfen, wenn auch die ganze Welt Ihn verachten würde. Vor Gott behält Er trotz allem Seinen Wert und Preis.
Als die lebendigen Steine, bauet euch zum geistlichen Hause. – Nach der griechischen Form wäre auch die Übersetzung möglich: „erbauet ihr euch.“ Aber auch in diesem Falle wäre es ohne Zweifel die Absicht des Petrus, die Gläubigen zu ermahnen: Sie sollen sich dem Herrn zum geistlichen Tempel weihen. Aus dem Zweck der Berufung lässt sich ja trefflich folgern, was demgemäß unsere Pflicht ist. Bemerkenswert ist weiter, dass der Apostel die gesamte Zahl der Gläubigen als ein einziges Haus betrachtet. Denn wenn auch jeder einzelne von uns ein Tempel Gottes ist und heißt, so müssen wir alle doch zur Einheit zusammengefasst und durch gegenseitige Liebe verbunden werden, damit sich aus allen ein einziger Tempel gestalte. Das geschieht, wenn ein jeder mit seinem Maß sich zufriedengibt und sich in den Schranken seiner Pflicht hält, wenn aber alle ihre Fähigkeiten zum gemeinen Besten anwenden. Wie nun Christus ein lebendiger Stein ist, so heißen auch wir lebendige Steine und ein „geistliches“ Haus. Darin liegt ein stiller Vergleich mit dem alttestamentlichen Tempel, der zum besonderen Preis der Gnade dient. Eben darauf zielt die Fortsetzung, dass wir „geistliche Opfer“ darzubringen haben. Denn um so viel besser die Wirklichkeit ist als das Bild, umso herrlicher ist alles in Christi Reich. Wir besitzen jenes himmlische Vorbild, welchem das alte Heiligtum und alles, was Mose im Gesetz verordnet hatte, dienen musste (Hebräer 8.5).
Zum heiligen Priestertum. – Wie hoch hat Gott uns doch gewürdigt, dass Er uns nicht bloß zu Seinem Tempel weiht, in dem Er wohnt und verehrt wird, sondern dass Er uns zugleich zu Seinen Priestern haben will! Diese doppelte Ehre preist Petrus, um unsern Eifer zur Verehrung Gottes zu wecken. Unter den geistlichen Opfern steht an erster Stelle die allgemeine Darbringung unser selbst, von welcher Paulus Römer 12.1 schreibt. Denn wir können dem Herrn nichts darbringen, als bis wir uns selbst Ihm zum Opfer gegeben haben, was in der Selbstverleugnung geschieht. Daran erst schließen sich Gebete und Danksagungen und andere Übungen der Frömmigkeit.
Geistliche Opfer, die Gott angenehm. – Dies muss unsere Freudigkeit noch steigern, dass wir wissen, wie wohlgefällig dem Herrn der Dienst ist, den wir Ihm leisten; umgekehrt müsste ein Zweifel in dieser Hinsicht notwendig Lässigkeit gebären. Wir haben hier also einen dritten Antrieb dieser Ermahnung: Kein banges Fragen darf uns träge machen, weil der Apostel bezeugt, dass Gott unsere Leistungen annimmt. Gewiss werden auch die Götzendiener durch eine große Inbrunst zu ihren selbst gemachten Kultusformen getrieben; Satan macht ihre Sinne trunken, damit sie nicht zur Besinnung über ihr Treiben kommen sollen. Sobald aber ihr Gewissen in Schwierigkeiten gerät, beginnen sie zu schwanken. Denn unmöglich kann sich ein Mensch ernstlich und von Herzen dem Herrn ergeben, wenn er nicht weiß, dass er sich nicht umsonst müht. Aber der Apostel fügt hinzu: Durch Jesus Christus. Denn unsere Opfer werden niemals so rein erfunden, dass sie an sich selbst dem Herrn erfreulich sein könnten; niemals ist unsere Selbstverleugnung lauter und vollkommen; niemals unser Gebetseifer so ernst, wie er sein sollte; niemals sind wir so völlig und brennend darauf bedacht, Gutes zu tun, dass nicht unsere Werke mangelhaft und mit vielen Fehlern behaftet blieben. Christus aber schafft ihnen trotz allem Anerkennung. Petrus begegnet also dem Misstrauen, welches uns bei der Frage beschleichen muss, ob unsere Leistungen angenommen werden: Er erklärt sie für angenehm, nicht wegen des Verdienstes eigener Trefflichkeit, sondern um Christi willen. Es muss dies unsern Eifer noch mehr entflammen, wenn wir hören, dass Gott so freundlich mit uns handelt und in Christus unseren Werken einen Wert beimisst, den sie in sich selbst nicht haben. Übrigens ließen sich die Worte auch so verbinden, dass wir unsere geistlichen Opfer durch Jesus Christus opfern. Ähnlich lesen wir ja im Hebräerbrief (13.15), dass wir durch Ihn dem Herrn das Lobopfer bringen sollen. Der Sinn bleibt doch derselbe: Denn wir bringen unser Opfer durch Christus dar, damit es dem Herrn wohlgefällig sei.