von Jonathan Swift
Verlag: Insel Taschenbuch
Leseprobe
Darauf gingen wir in die Fakultät für Sprachen, wo drei Professuren darüber berieten, die Sprache ihres eigenen Landes zu verbessern.
Das erste Projekt bestand darin, die Rede dadurch abzukürzen, dass man vielsilbige Wörter zu einsilbigen beschneidet und Verben und Partizipien auslässt, da alle vorstellbaren Dinge ja doch nur Hauptwörter seien.
Das zweite Projekt war ein Plan zur völligen Abschaffung aller Wörter überhaupt, und man machte geltend, dass das außerordentlich gesundheitsfördernd und zeitsparend wäre. Denn es ist klar, dass jedes Wort, das wir sprechen, in gewissem Maße eine Verkleinerung unserer Lungen durch Abnutzung bedeutet und folglich zur Verkürzung unseres Lebens beiträgt. Es wurde deshalb folgender Ausweg vorgeschlagen: da Wörter nur Bezeichnungen für Dinge sind, sei es zweckdienlicher, wenn alle Menschen die Dinge bei sich führten, die zur Beschreibung der besonderen Angelegenheit, über die sie sich unterhalten wollen, notwendig seien. […]
Ich war auch in der mathematischen Fakultät, wo der Magister seine Schüler nach einer Methode unterrichtete, die uns in Europa kaum vorstellbar erscheint. Lehrsatz und Beweis wurden mit Tinte, die aus einer Gehirntinktur bestand, deutlich auf eine dünne Oblate geschrieben. Der Student musste diese auf nüchternen Magen herunterschlucken, und die drei folgenden Tage durfte er nur Brot und Wasser zu sich nehmen. Während die Oblate verdaut wurde, stieg ihm die Tinktur ins Gehirn und nahm den Lehrsatz mit sich. Bisher sind aber noch keine angemessenen Erfolge zu verzeichnen, und zwar zum Teil wegen irgendeines Fehlers im Quantum oder in der Zusammensetzung und zum Teil wegen des Eigensinns der jungen Burschen, denen diese Pille so ekelhaft ist, dass sie sich gewöhnlich wegstehlen uns sie auf diesem Wege wieder herausbringen, bevor sie wirken kann; sie haben sich auch noch nicht dazu überreden lassen, so lange Enthaltsamkeit zu üben, wie es das Rezept verlangt.
(Ausschnitt aus: Jonathan Swift – Gullivers Reisen; Insel Taschenbuch)
Inhalt
Wer kennt nicht die Geschichte von Gulliver, der nach einem Schiffbruch zuerst bei den kleinwüchsigen Lilliputanern und später dann bei den Riesen von Brobdingnag landet? Doch wer weiß, dass es sich dabei um zwei verschiedene Schiffsreisen gehandelt hat? Und nur beim ersten Mal erleidet Gulliver Schiffbruch, bei seiner zweiten Reise wird er von seinen Gefährten an Land vergessen, als diese einen der dort lebenden Riesen sehen und fluchtartig mit dem Boot die Gestade verlassen...
Aber noch mehr: Es sind nicht Gullivers einzige Schiffsreisen mit sonderbaren Erlebnissen gewesen, es folgen noch zwei weitere: Auf der dritten Reise wird Gulliver nämlich von Piraten gefangen genommen und auf einer verlassenen Insel ausgesetzt. Und hier begegnet er einer fliegenden Insel, deren Bewohner ihn auflesen. Er lernt die Bewohner als auch den Mechanismus dieser fliegenden Insel kennen sowie die dazugehörigen, auf der Erde liegenden Ländereien mit ihren eigenartigen Bewohnern und Sitten.
Wieder nach Hause gekommen kann Gulliver auch jetzt nicht still sitzen bleiben und sticht sogar als Kapitän eines Schiffes in See. Aber auch dieses Mal passiert ihm ein Unglück und er wird von seiner Mannschaft ausgesetzt. An diesen Gestaden begegnet er zuerst den Yahoos, die ihm körperlich sehr stark ähneln, sich jedoch wie Tiere benehmen. Im Gegensatz dazu sind die Houyhnhnms, die das Aussehen von Pferden haben, aber wie Menschen in Gebäuden leben, eine Sprache haben und sozial verkehren…
Biographie
Jonathan Swift wurde 1667 in Dublin geboren. Nach einem eher schlecht als recht bestandenen Theologiestudium am Trinity Collage in Dublin, wo er aufgrund seiner ‚rebellischen‘ Haltung auffiel, ging er nach England. Sein Studium an der Universität Oxford schloss er mit dem ‚Master of Arts‘ ab. Er lebte bis 1698 in England, mit einem kurzen Irland-Intermezzo 1694/95; danach kehrte er endgültig nach Irland zurück, um eine Anstellung an der Kirche anzunehmen.
Seine ersten größeren literarischen Werke wurden 1704 veröffentlicht, Gullivers Reisen erschienen jedoch erst 1726. Neben seiner literarischen Laufbahn widmete Swift sich zudem einer politischen Karriere, die er jedoch aufgrund politischer Strukturen nicht weiterverfolgen konnte. Dennoch war er bekannt und gefürchtet wegen seiner politischen Schriften und Satiren.
Swift starb 1745 in Dublin, wo er in der St. Patrick’s Cathedral beigesetzt wurde.
Bewertung
Die meisten Menschen denken wohl bei Gullivers Reisen an ein Kinderbuch, was leider der Tatsache geschuldet ist, dass das Buch schon früh nach seinem Erscheinen stark gekürzt und ‚Kind-gerecht‘ verpackt wurde. Doch damit tut man sowohl dem Buch als auch der Intention von Swift Unrecht, denn die Geschichten sind ist stark geprägt von bissigem, satirischem Humor, politischen und sozialen Anspielungen und vielerlei Kritik. Auch wenn manch ein Sachverhalt der damaligen Zeit geschuldet ist und dem unkundigen Leser die ein oder andere Pointe vorenthalten bleibt, so gibt es dennoch sehr viele Begebenheiten, die wir heute so oder in ähnlicher Form wiederfinden. Das Buch vermittelt immer noch eine Vielzahl an ernsten Aussagen und sozialen Spiegelbildern, die es auch heute genauso wie damals zu überdenken gibt – die Zeit ändert sich zwar und mit ihr die Methoden und Möglichkeiten, der Mensch jedoch bleibt immer der gleiche… daher kann ich jedem das Buch nur empfehlen!
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