Römer 13.11-14
Und weil wir solches wissen, nämlich die Zeit, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf (sintemal unser Heil jetzt näher ist, denn da wir gläubig wurden; die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen): so lasset uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichtes. Lasset uns ehrbar wandeln als am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid; sondern ziehet an den Herrn Jesus Christus und wartet des Leibes, doch also, dass er nicht geil werde.
Nunmehr geht die Rede zu einer anderweitigen Ermahnung über. Da uns gleichsam die Morgenröte eines himmlischen Lebens aufgegangen ist, so müssen wir uns halten wie Leute, die mitten am Tage und unter den Augen der Menschen wandeln. In solcher Lage hütet man sich, etwas Gemeines und Unehrenhaftes zu tun. Denn für jeden Fehltritt stehen nur zu viele Zeugen bereit. Wie viel mehr müssen wir alles schändliche Wesen scheuen, die wir vor den Augen Gottes und Seiner Engel stehen, und die Christus, die wahre Sonne der Gerechtigkeit, berufen hat, Ihn zu schauen. Unsere Worte besagen also: Da wir wissen, dass es schon Zeit ist, vom Schlafe aufzuwachen, so lasset uns wegwerfen, was noch der Nacht gehört! Lasset uns die Werke der Finsternis abschütteln, denn die Finsternis ist bereits vergangen! Lasset uns eifrig mit den Werken des Lichts umgehen und wandeln, wie es am Tage sich ziemt! Um den Zusammenhang der Sätze richtig zu fassen, wird man guttun, den Zwischensatz in Klammern geschlossen zu denken. Und da wir es mit einem Gleichnis zu tun haben, wird es nützlich sein, die einzelnen Stücke auszudeuten. Nacht ist die Zeit, da man Gott noch nicht kennt und im Schlaf des Irrtums dahinwandelt. Denn die Ungläubigen leiden an einem doppelten Übel: Sie sind blind und stumpf. Diese Stumpfheit wird unter dem Bilde des Schlafes dargestellt, von dem man ja sagt, dass er das Bild des Todes ist. Licht ist die Offenbarung der göttlichen Wahrheit, in welcher uns Christus als die Sonne der Gerechtigkeit aufgeht. Aufstehen heißt: Sich gürten und rüsten, um auszurichten, was der Herr von uns haben will. Werke der Finsternis sind verbrecherische und schamlose Werke. Denn man sagt: Die Nacht kennt keine Scham. Waffen des Lichts sind ehrbare, nüchterne und züchtige Taten, wie man sie gern am Tage sehen lässt. Dabei heißt es nicht „Werke“, sondern „Waffen“, weil man mit solchen Taten die Kriege des Herrn führt. –
Zu Beginn dieses ganzen neuen Absatzes sagt der Apostel den Gläubigen, dass wir solches wissen, nämlich die Zeit, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, ein neues Leben mit neuen Sitten zu beginnen. Denn Gott hat uns berufen, und der Tag seiner gnädigen Heimsuchung ist da.
Sintemal unser Heil jetzt näher ist, denn da wir gläubig wurden. – Es ist nähergekommen, als es uns zu jenem Zeitpunkt war, da wir zuerst den Glauben annahmen, wie dies besonders die Fortsetzung deutlich macht (Vers 12): Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen. Jetzt ist also jener Zeitpunkt, da es gilt, Gutes zu tun. Stehen die Gläubigen auch noch nicht im vollen Lichte, so vergleicht doch der Apostel mit Recht die Erkenntnis des ewigen Lebens, welche uns aus dem Evangelium anstrahlt, mit der Morgenröte. Denn freilich bedeutet hier „der Tag“ nicht wie in anderen Stellen das Licht des Glaubens; sonst hätte es ja nicht heißen dürfen, dass er nahe herbeigekommen, sondern dass er längst aufgegangen sei und auf seiner Höhe stehe. Der aufgehende Tag ist vielmehr der selige Glanz des ewigen Lebens, dessen Anfang wir bereits im Evangelium schauen. So ergibt sich als Hauptgehalt des Gedankens: Sobald nur der erste Ruf Gottes an unser Ohr dringt und der erste Strahl des Lichtes uns darauf schließen lässt, dass bald das volle Licht der Sonne aufsteigen wird, müssen wir uns auf Christi Ankunft rüsten. Für uns ist also die Nacht vorgerückt, weil wir nicht mehr in der dichten Finsternis sitzen wie die Ungläubigen, welchen kein Fünkchen von Leben leuchtet, während uns das Evangelium die Auferstehungshoffnung vor Augen stellt. Also muss das Licht des Glaubens, welches die Nähe des vollen himmlischen Glanzes uns ankündigt, unsere Seele aufwecken, dass wir nicht in irdischer Stumpfheit verharren. Wenig später gebraucht der Apostel übrigens das gleiche Bild in etwas anderer Wendung (Vers 13): Lasset uns ehrbar wandeln als am Tage. Jetzt bezeichnet „Tag“ den gegenwärtigen Lebensstand, da Christi Licht uns leuchtet. Der Apostel mahnt uns das eine Mal, unsere Gedanken zum ewigen Leben emporzuheben, dann wieder, Gott, wie Er sich uns jetzt zeigt, voller Ehrfurcht anzuschauen.
Nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid. – Drei Gruppen von Lastern werden je mit einem doppelten Wort beschrieben: Unmäßiges und üppiges Leben, Fleischeslust und aller Schmutz, der damit zusammenhängt, endlich neidisches und zänkisches Wesen. Sind alle diese Dinge so schmählich, dass auch fleischliche Menschen sich schämen, sich vor Menschenaugen damit behaftet zu zeigen, so müssen sie uns, die wir im Lichte Gottes wandeln, völlig fern liegen, auch wenn kein Menschenauge uns beobachtet. In der dritten Gruppe steht zwar der Hader vor dem Neid, trotzdem wird Paulus daran erinnern wollen, dass aus dieser letzten Quelle Kampf und Streit entspringt. Legt es jemand darauf an, mehr zu sein als der andere, so stellt sich der Neid ein. Der tiefste Grund dieses doppelten Übels ist also streberischer Ehrgeiz.
Sondern ziehet an den Herrn Jesus Christus. – Dieses Bild ist der Schrift sehr geläufig, wenn von Dingen die Rede ist, welche den Menschen sei es schmücken, sei es verunstalten: Beides können ja Gewänder, die man anzieht, zustande bringen. Denn ein schmutziges und zerrissenes Kleid lässt den Menschen hässlich erscheinen, dagegen verleiht ein edles und sauberes Gewand ihm Wohlgestalt. „Christus anziehen“ bedeutet hier nur: Mit der Kraft Seines Geistes derartig umgeben werden, dass eine Bereitschaft zur Heiligkeit nach jeder Richtung entsteht. So wird Gottes Bild, der schönste Schmuck unserer Seele, in uns erneuert. Der Blick des Paulus richtet sich nämlich auf den Zweck unserer Berufung: Als uns Gott zu Seinen Kindern annahm, hat Er uns in den Leib Seines eingeborenen Sohnes eingefügt, damit wir dem alten Leben absagen und in Ihm neue Menschen werden möchten. In demselben Sinne heißt es auch (Galater 3.27): „Wie viele euer getauft sind, die haben Christus angezogen.“
Und wartet des Leibes, doch also, dass er nicht geil werde. – Solange wir unser Fleisch noch an uns tragen, können wir die Sorge für dasselbe nicht gänzlich abschütteln. Denn wenn auch unser Wandel im Himmel ist (Philipper 3.20), so wallen wir doch auch noch auf Erden. Man muss also die Anliegen des Leibes freilich befriedigen, aber nur so, wie man auf der Reise für alles Nötige sorgt und doch des Vaterlandes nicht vergisst. Auch Weltweise haben es ausgesprochen, dass die Natur mit wenigem zufrieden ist, dass aber der Menschen Wünsche alles erfüllbare Maß übersteigen. Wer also den Ansprüchen seines Fleisches Genüge leisten will, dessen Wesen wird nicht bloß völlig zerfließen, sondern geradezu in einen bodenlosen Abgrund versinken. Paulus aber will den Begierden des Fleisches einen Zügel anlegen. Denn er ist der Ansicht, dass alle sündliche Üppigkeit daher kommt, dass man das rechte und nüchterne Maß überschreitet. Darum setzt er eine Grenze: Die Bedürfnisse unseres Fleisches sollen wir befriedigen, aber der Begierde nicht nachgeben. So wird das Ergebnis sein, dass wir diese Welt brauchen, als brauchten wir sie nicht.