Philipper 2.25-30
Ich habe es aber für nötig angesehen, den Bruder Epaphroditus zu euch zu senden, der mein Gehilfe und Mitstreiter und euer Apostel und meiner Notdurft Diener ist; sintemal er nach euch allen Verlangen hatte, und war hoch bekümmert, darum dass ihr gehört hattet, dass er krank gewesen war. Und er war todkrank; aber Gott hat sich über ihn erbarmt; nicht allein aber über ihn, sondern auch über mich, auf dass ich nicht eine Traurigkeit über die andere hätte. Ich habe ihn aber desto eilender gesandt, auf dass ihr ihn sehet und wieder fröhlich werdet, und ich auch der Traurigkeit weniger habe. So nehmet ihn nun auf in dem Herrn mit allen Freuden und habt solche Leute in Ehren. Denn um des Werkes Christi willen ist er dem Tode so nahe gekommen, da er sein Leben gering bedachtem auf dass er mir diente an eurer statt.
Ich habe es aber für nötig angesehen, den Bruder Epaphroditus zu euch zu senden, der mein Gehilfe und Mitstreiter und euer Apostel und meiner Notdurft Diener ist. – Nachdem der Apostel seine Gemeinde durch das Versprechen aufgerichtet hat, dass er und Timotheus kommen würden, stärkt er sie auch für die Gegenwart, indem er den Epaphroditus vorausschickt. Bis er selbst über den Ausgang seiner Sache Gewissheit erhielt – hier lag ja der Grund, der ihn noch zurückhielt – sollten die Philipper nicht eines Hirten entraten, der imstande wäre, die einmal geschaffenen geordneten Zustände aufrecht zu erhalten. Dem Epaphroditus dient nun eine ganze Reihe von Ehrentiteln zur Empfehlung: Er heißt nicht bloß Bruder, sondern auch des Apostels Gehilfe und Mitstreiter. Dieser Ausdruck erinnert daran, dass die Diener des Evangeliums in einem beständigen Kampfe stehen, denn Satan duldet es nicht, dass sie ohne Kampf das Evangelium verbreiten. Darum mögen Männer, die sich anschicken, die Gemeinde zu erbauen, wohl bedenken, dass ihnen der Krieg erklärt ist und dass er jeden Augenblick ausbrechen kann. Gilt es auch von allen Christen, dass sie in Christi Lager dienen, weil Satan gegen sie alle den Kampf rüstet, so trifft es doch ganz besonders auf die Diener am Worte zu, welche die Truppenkörper führen und die Fahne vorantragen. Paulus zumal durfte sich seiner Kriegsdienste rühmen, denn er war in jeder Kampfesart fast wunderbar geübt. So ist es für den Epaphroditus ein hohes Lob, ein Genosse seiner Kämpfe zu heißen. Dass er aber selbst ein Apostel genannt wird, will hier wie an vielen anderen Stellen nur im allgemeinen Sinne verstanden sein: Er ist ein Verkündiger des Evangeliums. Möglicherweise kann man jedoch übersetzen: „euer Abgesandter und meiner Notdurft Diener“. Dann stünde der letzte Ausdruck in unmittelbarem Zusammenhange mit dem vorigen: Die Philipper hätten den Epaphroditus eben zu dem Zwecke gesandt, um dem Paulus etwas zuzudienen (vergleiche 4.18). Jedenfalls gehört es auch zu seinen Ruhmestiteln, dass er dem Paulus im Gefängnis gedient hat, wovon wir bald mehr hören werden.
Sintemal er nach euch allen Verlangen hatte. – Das ist das Kennzeichen eines rechten Seelenhirten, dass, während er um einer frommen Pflicht willen freiwillig in der Ferne weilt, er doch der Sorge und der Sehnsucht nach seiner Herde nicht vergisst, und der Schmerz, den seine Schafe im Gedenken an ihm empfinden, ihm selbst Unruhe bereitet. Umgekehrt können wir hier auch einen Blick in die ängstliche Liebe der Philipper zu ihrem Hirten tun.
Aber Gott hat sich über ihn erbarmt. – Musste von einer schweren Krankheit die Rede sein, bei der man schon am Leben des Epaphroditus verzweifelte, so enthüllt sich in seiner Wiedergenesung umso deutlicher Gottes Güte. Vielleicht aber scheint es verwunderlich, dass Paulus in dem Geschenk eines verlängerten Lebens eine Gabe der göttlichen Barmherzigkeit sieht; hatte er doch zuvor ausgesprochen, dass er für sich den Tod vorziehen würde (1.23). Was gibt es überhaupt Besseres für uns, als befreit von den vielen Sorgen dieses Lebens in das Reich Gottes einzugehen; vor allem aber, erlöst von der Knechtschaft der Sünde, deren Elend der Apostel doch drückend empfand (Römer 7.24), im vollen Genuss der Freiheit des Geistes zu stehen, mit welcher wir dann dem Sohne Gottes anhängen würden? Es würde zu weit führen, alle Gründe aufzuzählen, derentwegen der Tod für die Gläubigen besser und wünschenswerter ist als das Leben. Was wäre das aber für eine Barmherzigkeit Gottes, die mit unserem Leben nur das Elend verlängert? Ich antworte, dass trotzdem dieses Leben, für sich betrachtet, eine herrliche Wohltat Gottes bleibt, besonders für Menschen, die Christo leben; denn sie stehen hier in einem glücklichen Stande der Hoffnung und der Übung für die himmlische Herrlichkeit. Darum ist für sie, wie wir sahen, das Leben ein Gewinn. Ferner bedeutet es keine geringe Ehre, wenn Gott uns dessen würdigt, dass Er durch uns verherrlicht werden will: So muss man denn weniger das Leben selbst, als des Lebens Zweck und Ziel ins Auge fassen.
Nicht allein aber über ihn, sondern auch über mich, auf dass ich nicht eine Traurigkeit über die andere hätte. – Paulus gesteht ein, dass des Epaphroditus Tod hart für ihn gewesen sein würde, und er sieht es als eine Verschonung Gottes an, dass er wieder gesund geworden ist. Er rühmt sich also nicht einer stoischen Gleichgültigkeit oder eines eisernen, für alle menschliche Empfindung unzugänglichen Herzens. So ließe sich fragen, wo denn seine unbesiegbare Geistesgröße und seine unermüdliche Tapferkeit bleiben? Aber christliche Geduld ist eben etwas anderes als philosophische stolze Unempfindlichkeit und unbeugsame stoische Härte. Was wäre es dann für eine Tugend, mit Geduld das Kreuz zu ertragen, wenn man dabei keinen Schmerz und keine Bitternis fühlte? Wenn dagegen Gottes Tröstung dieses Gefühl besiegt, sodass wir nicht widerstreiten, sondern vielmehr willig unseren Rücken den Rutenschlägen darbieten, so ist das ein Gott wohlgefälliges Opfer des Gehorsams. So gesteht Paulus, dass seine Bande ihm wohl lästig und schmerzlich waren – und doch trug er sie gern um Christi willen. Er gesteht, dass des Epaphroditus Tod für ihn schwer zu tragen gewesen sein würde; aber gegebenenfalls würde er seinen Schmerz unter den Willen Gottes gebeugt haben. Und doch ist hiermit die ganze Schwierigkeit noch nicht gehoben, denn es können ja auch sündige Gefühle sein, durch deren Zügelung wir unseren Gehorsam beweisen, indem wir der Schwachheit des Fleisches eben nicht nachgeben. Zweierlei ist hierbei zu beachten. Erstens, dass die Gefühle, die Gott von Anfang an unserer Natur anerschaffen hat, an und für sich nicht böse sind, weil sie nicht aus der verdorbenen Natur hervorgehen, sondern von Gott stammen. Ein solch reines Gefühl ist die Trauer über den Tod eines Freundes. Ferner lagen für Paulus noch andere Gründe vor, derentwegen der Tod des Epaphroditus für ihn traurige gewesen wäre, und nicht nur Gründe, die zu entschuldigen, sondern durchaus als berechtigt anzuerkennen sind. Ein solcher bei den Gläubigen in jedem Falle zutreffender Grund ist, dass jeder Todesfall uns den Zorn Gottes wider die Sünde vor Augen stellt. Paulus aber dachte noch mehr an den Verlust, welchen die Gemeinde erlitten hätte: Es schmerzte ihn, wenn einer aus dem Kreise der äußerst wenigen wahrhaft guten Lehrer abscheiden sollte. Wenn man solche Gefühle gänzlich tilgen und auslöschen möchte, so wird man aus dem Menschen nicht nur einen Stein, sondern ein wildes und rohes Wesen machen. Übrigens ist bei der Verdorbenheit unserer Natur bei uns alles so verkehrt, dass die Gefühle unseres Inneren, welcher Art sie auch sein mögen, immer das rechte Maß überschreiten. Daher kommt es, dass nichts durch sich selbst so rein und richtig ist, dass es vom Bösen nicht angesteckt wäre. Ja, auch Paulus war ein Mensch, und ich leugne nicht, dass auch bei seinem Schmerz etwas Menschliches mit untergelaufen ist. Denn er hatte auch mit der Schwachheit zu kämpfen und musste Versuchungen bestehen, um durch Kämpfen und Widerstehen den Sieg zu erringen.
Ich habe ihn aber desto eilender gesandt. – Des Epaphroditus Anwesenheit war für Paulus kein geringer Trost; aber das Wohl der Philipper stellte er viel höher als seine Bequemlichkeit. Darum sagt er, dass er sich über seine Abreise freut. Denn es hätte ihn traurig gestimmt, wenn er den Epaphroditus von seiner anvertrauten Herde hätte zurückhalten sollen. So sehr dessen Dienste ihn sonst erquickten, so wollte er doch lieber darauf verzichten, als die Philipper berauben. Paulus selbst wird der Traurigkeit weniger haben, wenn er den Philippern zur Freude verhilft.
So nehmet ihn nun auf in dem Herrn mit allen Freuden. – D. h. mit ganzer, überfließender Freude. Diese erneute Empfehlung zeigt, wie viel dem Apostel daran liegt, dass man bewährten, guten und treuen Hirten ihre Ehre gibt. Denn was hier von einem gesagt wird, gilt von allen. Solche Lehrer sind kostbare Perlen aus Gottes Schatzkammer: Je seltener sie sind, desto höher steigt ihr Wert. Und es ist sicher, dass Gott unsere Undankbarkeit und unseren stolzen Dünkel oft dadurch straft, dass Er uns die guten Hirten nimmt, wenn Er sieht, dass auch die besten, die Er gegeben hat, fast verachtet werden. Wer daher wünscht, dass die Gemeinde gegen die Nachstellungen und Angriffe der Wölfe sicher sei, der sorge nach dem Vorbilde des Paulus dafür, dass das Ansehen der guten Hirten gestärkt werde. Betreiben doch auch die Werkzeuge Satans nichts eifriger als dieses Ansehen mit allen nur möglichen Mitteln zu zerstören.
Denn um des Werkes Christi willen ist er dem Tode so nahe gekommen, da er sein Leben gering bedachtem auf dass er mir diente an eurer statt. – Ich beziehe das auf jene Krankheit, die Epaphroditus sich durch seine ruhelose Tätigkeit zugezogen hatte. So zählt diese Krankheit zu seinen Tugenden, denn sie war ein glänzendes Zeugnis seines brennenden Eifers. Kranksein an sich ist gewiss keine Tugend; aber eine Tugend ist es, wenn man Christo dient, ohne sich selbst zu schonen. Epaphroditus wusste wohl, dass übermäßige Anstrengungen seiner Gesundheit schaden mussten; doch wollte er lieber seine Gesundheit vernachlässigen, als seine Pflicht versäumen. Um diese Tat den Philippern vollends löblich erscheinen zu lassen, sagt der Apostel, dass Epaphroditus ihm damit an ihrer statt gedient habe. Denn da sie entfernt waren und deshalb dem Paulus in Rom keine Hilfe leisten konnten, so hatte Epaphroditus, der zu diesem Zweck gesandt war, ihre Stelle vertreten. Der griechische Wortlaut deutet darauf hin, dass der von Epaphroditus geleistete Dienst eigentlich ein Gottesdienst war. Und gewiss gibt es nichts, wodurch wir Gott besser dienen können, als wenn wir Seinen Dienern in den Nöten beistehen, die sie um der Wahrheit des Evangeliums willen treffen.