Kolosser 2.20-23
So ihr denn nun abgestorben seid mit Christus den Satzungen der Welt, was lasset ihr euch denn fangen mit Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt? (Die da sagen:) „Du sollst das nicht angreifen, du sollst das nicht kosten, du sollst das nicht anrühren,“ welches sich doch alles unter Händen verzehrt, und sind Menschen Gebote und Lehren, welche haben einen Schein der Weisheit durch selbsterwählte Geistlichkeit und Demut und dadurch, dass sie des Leibes nicht verschonen, und dem Fleisch nicht seine Ehre tun zu seiner Notdurft.
So ihr denn nun abgestorben seid mit Christus den Satzungen der Welt, was lasset ihr euch denn fangen mit Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt? – Vorher hatte der Apostel gesagt: Die Satzungen sind mit Christus ans Kreuz geheftet. Jetzt drückt er dasselbe anders aus: Wir sind ihnen abgestorben. So heißt es in Galater 2.19: Wir sind dem Gesetz gestorben, und umgekehrt das Gesetz uns. Mit dem Worte „sterben“ wird aufs nachdrücklichste die Abschaffung des Geistes bezeichnet. Die Kolosser haben also mit den Satzungen nichts mehr zu schaffen. Warum? Weil sie ihnen mit Christus abgestorben sind, das heißt nachdem sie, in der Wiedergeburt mit Christus gestorben, durch Seine Gnade von den Satzungen befreit worden sind, so dass diese sie nichts mehr angehen. Daraus folgert Paulus, dass sie durch die Satzungen nicht im mindesten verpflichtet werden, welche die falschen Apostel ihnen aufzuerlegen suchten.
„Du sollst das nicht angreifen, das heißt genießen, du sollst das nicht kosten, du sollst das nicht anrühren.“ – Die eigenen Worte der Leute, die mit ihren Satzungen die Gewissen umstrickten, müssen nun zeigen, bis zu welcher Peinlichkeit und Kleinlichkeit sie sich verstiegen. Schon der Anfang lautet unbillig streng, dass man bestimmte Dinge nicht genießen solle. Haben sie damit erreicht, was sie wollen, so gehen sie weiter und verbieten auch nur zu kosten, was nicht gegessen werden darf; endlich machen sie die Berührung schon zur Sünde: „Du sollst das nicht anrühren.“ Wo einmal Menschen sich die Tyrannei über andere angemaßt haben, ist keine Grenze für täglich neue Gebote und Satzungen zu den alten. Darum nennt Paulus sehr treffend menschliche Überlieferungen ein Labyrinth, in welchem die Gewissen sich verirren, ja recht eigentlich Schlingen, die gleich von Anfang einen Menschen so verstricken, dass sie ihn im Laufe der Zeit ersticken.
Welches sich doch alles unter Händen verzehrt, und sind Menschen Gebote und Lehren. – Mit doppeltem Grunde weist er die erwähnten Satzungen zurück, einmal weil sie den Gottesdienst in äußerliche und hinfällige Dinge setzen, die mit dem geistlichen Reiche Gottes gar nichts zu tun haben, und zweitens, weil sie von Menschen und nicht von Gott herstammen. Mit dem ersten Grunde ficht er auch in Römer 14.17: Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, und ebenso in 1. Korinther 6.13: Die Speise dem Bauche und der Bauch der Speise; aber Gott wird diesen und jene zunichtemachen. So auch Christus selbst in Matthäus 15.11 & 17: Was zum Munde eingeht, verunreinigt den Menschen nicht; denn es geht in den Bauch und wird durch den natürlichen Gang ausgeworfen. Kurz: Verehrung Gottes, wahre Frömmigkeit und die Heiligkeit der Christen steht nicht in Speise, Trank und Kleidung; das alles sind vergängliche und dem Verderben unterworfene Dinge, die durch ihren Verbrauch vergehen. Denn verbraucht werden recht eigentlich die Dinge, welche der Gebrauch verdirbt. Nichts gelten also die Vorschriften von solchen Dingen, mit denen man die Gewissen verpflichten will. Der andere Grund, dass die Satzungen von Menschen ausgegangen sind und nicht von Gott, ist wie ein Blitzschlag, der alle Überlieferungen der Menschen darniederschlägt und zunichte macht. Wie denn? Christus beleidigen und Seinen Tod machen wertlos alle, welche die Gewissen knechten. Denn kein Menschengebot kann das Gewissen binden.
Welche haben einen Schein der Weisheit. – Was auch immer die Gegner den Leuten vormachen mochten – Paulus achtet doch alles für nichts und sagt, er kümmere sich nicht darum, dass sie einen Schein der Weisheit haben. Der Wahrheit stellt er den Schein gegenüber, der freilich oft durch seine Ähnlichkeit trügerisch wirken mag. Zu beachten ist, worin dieser Schein nach Paulus besteht. Dreierlei nennt er: Selbsterwählte Geistlichkeit, Demut und Vernachlässigung des Leibes. Selbsterwählte Geistlichkeit ist ein Gottesdienst, den die Menschen nicht auf Gottes Befehl, sondern nach eigenem Gutdünken sich zurecht machen. Menschliche Anordnungen gefallen uns darum, weil sie unserm eigenen Geiste entsprechen, und jeder wird in seinem eigenem Gehirn solche Gedanken finden. Das ist das Erste. Das Zweite ist Demut, welche sich gleicherweise als Gehorsam gegen Gott wie gegen Menschen gibt, damit die Menschen sich nicht weigern, selbst ungerechte Bürden sich auflegen zu lassen. Das haben ja solche Überlieferungen an sich, dass sie die besten Übungen in der Demut zu sein scheinen. Das Dritte ist, dass man am meisten zur Abtötung des Fleisches beizutragen scheint, wenn man des Leibes nicht verschont. Paulus aber verjagt allen diesen Dunst. Denn das, was hoch ist vor den Menschen, ist oft ein Greul vor Gott. Sodann ist das ein grundverkehrter Gehorsam und eine gotteslästerliche Demut, wenn man die Menschen an Gottes Stelle setzt. Und dann soll den Leib zu vernachlässigen eine so herrliche Sache sein, dass dies gar für einen Gottesdienst gelten muss! Doch es könnte sich jemand wundern, dass Paulus sich nicht noch mehr Mühe gibt, jenen Leuten die Maske abzureißen. Ich antworte: Er begnügt sich mit Recht mit dem einen Worte „Schein“, und mit dem unwiderleglichen Hinweis auf die Wesenheit, die auf der anderen Seite steht – in Christus ist der Körper; darum heißt es der armen Leute nur spotten, wenn man ihnen Schatten vorhält. Weiter ist es für alle Frommen eine selbstverständliche Sache, dass man die Verehrung Gottes nicht nach eigenem Sinne einrichtet, und dass nicht darum ein Gottesdienst der rechtmäßige ist, weil er uns gefällt. Ebenso selbstverständlich sollen wir dem Herrn darin unsere Demut beweisen, dass wir einfach Seinen Befehlen gehorchen und uns nicht auf unsere Klugheit und dergleichen stützen. Und das Ziel der Demut vor Menschen ist, dass durch die Liebe einer dem anderen sich unterordnet. Wenn man aber behauptet, durch Enthaltung von Speisen werde des Fleisches Übermut unterdrückt, so ist darauf die Antwort leicht: nicht darum sollen wir uns einer bestimmten Speise enthalten, weil sie an sich unrein wäre, sondern wir sollen, was wir genießen, mäßig genießen, damit wir die Gaben Gottes mäßig und nüchtern gebrauchen und nicht, von unmäßigem Essen und Trinken geknechtet, vergessen, was Gott gebührt. Um also die Kolosser vor falschen Vorspiegelungen zu warnen, genügte es einfach zu sagen: Das alles ist „Schein“.
Seine Ehre tun. – Ehre bezeichnet nach dem hebräischen Sprachgebrauch die Führsorge, wie 1. Timotheus 5.3: Ehre die Witwen, das heißt nimm dich ihrer an. So tadelt es Paulus, dass jene Leute forderten, man solle die Fürsorge für den Leib außeracht setzen und ihm nicht die Pflege gewähren, deren er bedarf. Denn ebenso wie Gott verbietet, ein Übermaß des Leibes zu pflegen, ebenso gebietet Er, ihm zu geben, was er nötig hat. Darum verurteilt Paulus in Römer 13.14 nicht schlechthin die Pflege des Leibes, sondern nur das, was die Begierden des Fleisches fördert: damit er nicht geil werde. Und der Fehler jener übergeistlichen Satzungen war eben der, dass man den Leib nicht mehr zu seiner Notdurft versorgte. Wörtlich heißt der betreffende Ausdruck: zu seiner Ausfüllung. Gemeint ist damit alles, was den natürlichen Bedarf ausmacht, aber nicht mehr: Ausfüllung ist nicht Überfüllung und Notdurft nicht Überfluss. Denn die Natur ist mit wenigem zufrieden. Also: Was des Lebens Notdurft erfordert dem Leibe versagen ist ebenso gottlos als unmenschlich.