BÜCHERECKE

Farm der Tiere

von George Orwell

 

Verlag: Diogenes

 

Leseprobe

Das Geheimnis, wohin die Milch verschwand, klärte sich bald auf. Sie wurde täglich dem Futter der Schweine beigemischt. Die Frühäpfel reiften jetzt, und das Gras des Gartens war mit Fallobst übersät. Die Tiere hatten es als selbstverständlich angenommen, dass es zu gleichen Teilen unter ihnen aufgeteilt würde; eines Tages jedoch erging der Befehl, alles Fallobst sei einzusammeln und zur Verfügung der Schweine in die Geschirrkammer zu bringen. Hierüber murrten einige der anderen Tiere, doch es nutzte nichts. Alle Schweine waren sich einig, selbst Schneeball und Napoleon. Schwatzwutz wurde ausgeschickt, um den übrigen die erforderlichen Erklärungen zu geben.

„Genossen!“, rief er, „Ihr glaubt doch hoffentlich nicht etwa, wir Schweine täten dies aus Eigennutz oder Privileg-denken? Viele von uns mögen eigentlich Milch und Äpfel gar nicht. Ich persönlich verabscheue sie. Wenn wir diese Dinge zu uns nehmen, so tun wir dies mit dem einzigen Ziel, unsere Gesundheit zu erhalten. Milch und Äpfel (das ist wissenschaftlich erwiesen, Genossen) enthalten Substanzen, die für das Wohlbefinden eines Schweins absolut nötig sind. Wir Schweine sind Kopfarbeiter. Die ganze Leitung und Organisation der Farm hängt von uns ab. Wir wachen Tag und Nacht über eure Wohlfahrt. Um euretwillen trinken wir diese Milch und essen wir diese Äpfel. Wisst ihr, was geschehen würde, wenn wir Schweine in unserer Pflicht versagten? Jones würde zurückkommen! Ja, das würde er! Bestimmt, Genossen“, rief Schwatzwutz beinahe flehentlich, hopste von einer Seite auf die andere und fegte mit dem Schwanz durch die Luft, „bestimmt ist keiner unter euch, der es erleben möchte, das Jones zurückkommt?“

Wenn es nun etwas gab, worüber die Tiere völlig sicher waren, dann das, dass sie Jones nicht zurückhaben wollten. Als ihnen die Angelegenheit in diesem Licht präsentiert wurde, hatten sie weiter nichts mehr zu sagen. Die Dringlichkeit, die Schweine bei guter Gesundheit zu erhalten, war allzu offensichtlich. Also kam man ohne weitere Debatten überein, dass die Milch und das Fallobst (und später auch die Haupternte der Äpfel) den Schweinen allein vorbehalten bleiben sollten.

(Ausschnitt aus: George Orwell – Farm der Tiere; Diogenes)

 

Inhalt

Die Tiere der Herrenfarm fühlen sich durch ihren Farmer, Mr. Jones, ausgebeutet. Das weise Schwein Old Major ruft eines Nachts alle Tiere der Farm zu sich, um Ihnen von seinem Traum zu erzählen – einem Traum von der Freiheit und Gleichberechtigung aller Tiere. Nur wenige Wochen später stirbt Old Major, doch sein Traum und der Gedanke an Freiheit bleibt in den Köpfen der Farm-Tiere erhalten. Und kurze Zeit darauf kommt es, viel früher als erahnt, zur Revolution der Tiere, die Jones und die anderen Menschen von der Farm vertreiben. Auf der nun herrenlosen Farm haben nun die Tiere das sagen. Sie ordnen das Leben, indem sie Gesetze formulieren und die Arbeiten aufteilen. Dabei zeichnen sich schon zu Beginn zwei Schweine als Anführer ab: Schneeball und Napoleon, die sich einen immer stärker währenden Konkurrenzkampf liefern. Und noch etwas zeichnet sich schnell ab: Die Schweine scheinen von allen die intelligentesten Tiere und es zeigt sich, dass sie sich immer mehr in eine elitäre Stellung begeben. Und so weicht ein Gesetz nach dem anderen auf und die Spirale einer vermeintlichen Freiheit dreht sich immer schneller und schneller…

 

Biographie

George Orwell, mit bürgerlichem Namen Eric Arthur Blair wird 1903 in British-Indien geboren. Er wächst in England auf und studiert dort. 1921 geht er nach Burma zur Kolonialpolizei. Dort lernt er die zum Teil menschenfeindlichen Methodiken und Vorgehensweisen der Polizei kennen, bis er schließlich seinen Dienst quittiert. 1927 kehrt er nach England in der Absicht zurück, Schriftsteller zu werden. 1928 siedelt er als Englischlehrer nach Paris. Mangels Aufträge muss er sich als Tagelöhner und Gelegenheitsarbeiter verdingen, 1929 kehrt er krank und verarmt nach England zurück. Durch kleine Schreibaufträge kann er sich über Wasser halten. 1937 nimmt er am spanischen Bürgerkrieg teil und wird dabei schwer verwundet. Im zweiten Weltkrieg arbeitet Orwell als Buchkritiker, da er aufgrund seiner Tuberkulose nicht eingezogen wird. Nach dem Krieg erscheint sein Buch Farm der Tiere, mit dem er den Durchbruch schafft, gefolgt von 1984, welches im Jahre 1949 veröffentlicht wird. 1950 stirbt George Orwell in Sutton an Tuberkulose.

 

Bewertung

Ich habe Goerge Orwells Farm der Tiere schon mehrfach gelesen, und immer wieder bin ich traurig und bestürzt über dieses Buch gewesen. Doch seitdem ich Solschenizyns Archipel Gulag gelesen habe, erscheint das Buch in einer noch bedrohlicheren Form: Diesmal haben die Schweine Napoleon (Stalin) und Schneeball (Trotzki) reale Gesichter gehabt, und die Taten der Schweine nehmen plötzlich reale Gestalt in Form von Handlungen an, wie sie Solschenizyn in seinem Buch immer und immer wieder beschreibt. Und auch im Vergleich mit der heutigen Zeit finden wir viele Parallelen der allzu menschlich handelnden Schweine – uns es sind meist nicht nur Äpfel oder Milch, die dem Volk mit schönen Worten oder besser Angstvorstellungen vorenthalten werden: Angst macht gefügig! Und Angstvisionen benebeln die Urteilskraft…

 

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