RÖMER

Römer Kapitel 2 Teil VI

Römer 2.25-28

Die Beschneidung ist wohl nütz, wenn du das Gesetz hältst; hältst du aber das Gesetz nicht, so bist du aus einem Beschnittenen schon ein Unbeschnittener geworden. So nun der Unbeschnittene das Recht im Gesetz hält, meinst du nicht, dass da der Unbeschnittene werde für einen Beschnittenen gerechnet? Und wird also, der von Natur unbeschnitten ist und das Gesetz vollbringt, dich richten, der du unter dem Buchstaben und der Beschneidung bist und das Gesetz übertrittst? Denn das ist nicht ein Jude, der auswendig ein Jude ist, auch das nicht eine Beschneidung, die auswendig am Fleisch geschieht; sondern das ist ein Jude, der es inwendig verborgen ist, und die Beschneidung des Herzens ist eine Beschneidung, die im Geist und nicht im Buchstaben geschieht. Eines solchen Lob ist nicht aus Menschen, sondern auf Gott.

 

Die Beschneidung ist wohl nütz, wenn du das Gesetz hältst; hältst du aber das Gesetz nicht, so bist du aus einem Beschnittenen schon ein Unbeschnittener geworden. – Einen weiteren Einwand, welchen die Juden zu ihrer Verteidigung vorbringen konnten, widerlegt der Apostel im Voraus: War die Beschneidung das Zeichen des Bundes, in welchem Gott sich Abraham und seinen Samen zum besonderen Eigentum erwählt hatte, so schienen die Juden darauf ihren Ruhm mit Recht gründen zu dürfen. Aber sie hängten sich an das äußere Zeichen und vergaßen dessen wahre Bedeutung. Deshalb antwortet ihnen der Apostel, dass das bloße Zeichen keine Ansprüche begründen könne. Das wahre Wesen der Beschneidung lag in der daran geknüpften geistlichen Verheißung; und diese erforderte Glauben. Um beides aber, Verheißung und Glauben, kümmerten sich die Juden nicht. Ihr Vertrauen war also ein törichtes. Indem nun der Apostel seine Rede diesem groben Irrtum anbequemt, übergeht er hier ebenso wie im Galaterbrief (Galater 5.3-6; 6.15) den wesentlichsten Nutzen der Beschneidung. Dies will wohl beachtet sein; denn wenn eine vollständige Abhandlung über Wesen und Absicht der Beschneidung gegeben werden sollte, dürfte ein Hinweis auf die Gnade und die Gnadenverheißung unter keinen Umständen fehlen. Da aber Paulus sowohl hier wie im Galaterbriefe seine Rede völlig auf die gegebenen Umstände zuspitzt, so berührt er nur das Stück, was gerade in Frage steht. Die Juden hielten die Beschneidung an sich für ein Werk, mit welchem man Gerechtigkeit erwürbe. Also geht Paulus auf ihre Denkweise ein und antwortet: Wenn man in der Beschneidung nach Werken fragt, so ist dies ihre Bedingung, dass der Beschnittene sich als einen wahren und vollkommenen Anbeter Gottes erweise. Erst dieses Werk macht die Beschneidung vollkommen. Ganz ebenso kann man ja auch von unserer Taufe sprechen. Wenn jemand in bloßem Vertrauen auf die Wassertaufe sich einfach durch den Vollzug der äußeren Handlung für gerechtfertigt und geheiligt ansehen sollte, so hält man ihm den Zweck der Taufe entgegen, dass uns Gott durch dieselbe zu einem heiligen Leben berufen will. Dabei würde von der Verheißung und Gnade, welche die Taufe uns bezeugt und versiegelt, gar keine Rede sein. Denn wir würden eben mit Leuten zu tun haben, welche, mit dem leeren Schatten der Taufe zufrieden, vernachlässigen und vergessen, was in der Taufe das Wesentliche ist. Es lässt sich auch bei Paulus beobachten, dass er, wo er unter Gläubigen und ohne Polemik von den heiligen Wahrzeichen handelt, dieselben stets mit ihren Verheißungen zusammen greift, in denen ihre Wirksamkeit und Vollkommenheit besteht. Wo er aber auf ein verkehrtes Verständnis der heiligen Zeichen Rücksicht nimmt, muss er diese Hauptsache übergehen und seine Rede dem Zwecke der Auseinandersetzung anpassen. – Die Tatsache, dass Paulus unter allen Werken des Gesetzes sich vornehmlich mit der Beschneidung beschäftigt, hat vielen die Meinung beigebracht, dass der Apostel lediglich den zeremoniösen (nicht aber den moralischen) Werken die Kraft abspreche, gerecht zu machen. Doch die Sache liegt ganz anders: Wer nämlich seine Verdienste vor Gottes Gerechtigkeit zu erheben strebt, wird immer geneigt sein, seinen Ruhm mehr in der Beobachtung äußerer Zeremonien als in ernstlicher Rechtschaffenheit zu suchen. Denn wer ernste Furcht Gottes kennt und fühlt, wird niemals wagen, seine Augen gen Himmel zu erheben; je mehr er nach wahrer Gerechtigkeit strebt, umso mehr wird er innewerden, wie weit er von derselben entfernt ist. Dass aber die Pharisäer, die sich mit einer äußerlich vorgespiegelten Heiligkeit begnügen, mit Äußerlichkeiten prunken, erscheint nicht verwunderlich. Deshalb entreißt Paulus den Juden auch diesen letzten elenden Vorwand, als könne jemand durch die Beschneidung gerecht werden.

So nun der Unbeschnittene das Recht im Gesetz hält, meinst du nicht, dass da der Unbeschnittene werde für einen Beschnittenen gerechnet? – Dieser Beweis erscheint durchschlagend. Jedes Ding ist ja seinem Zwecke angepasst und demselben untergeordnet. Die Beschneidung hängt nun mit dem Gesetze zusammen und soll demselben dienstbar sein. Es ist also wertvoller das Gesetz zu halten als die Beschneidung, welche doch nur um des ersteren willen eingesetzt ward. Daraus folgt, dass ein Unbeschnittener, wenn er nur das Gesetz halten würde, besser ist als ein Jude mit seiner armseligen und nutzlosen Beschneidung, der als Gesetzesübertreter dasteht. Wer von Natur befleckt ist, wird durch den Gehorsam gegen das Gesetz geheiligt werden; und die Vorhaut gilt als Beschneidung.

Das Wort „Vorhaut“ (Unbeschnitten-sein) in unserm Vers steht, wo es zum zweiten Male vorkommt, in seinem eigentlichen Sinne. Zuerst aber steht es ungenauer weise als eine Artbezeichnung der Heiden: Die Sache soll die damit behaftete Person bezeichnen.

Die Frage übrigens, wo denn solcher Gehorsam gegen das Gesetz tatsächlich zu finden sei, muss man nicht aufwerfen; er existiert nirgends. Paulus redet lediglich bedingungsweise: Wenn es einen Heiden gäbe, der das Gesetz hielte, so würde dessen Gerechtigkeit in der Vorhaut mehr wert sein als die Beschneidung des Juden ohne Gerechtigkeit. Deshalb sind auch die folgenden Worte (Vers 27): Und wird also, der von Natur unbeschnitten ist und das Gesetz vollbringt, dich richten, nicht in Bezug auf bestimmte Personen, sondern nur beispielsweise geredet, ganz ebenso wie die Wendungen (Matthäus 12. 42 & 41): Die Königin vom Süden wird auftreten, oder die Leute von Ninive werden auftreten am Jüngsten Gerichte.

Unter dem Buchstaben und der Beschneidung. – Eine nachdrückliche Zerteilung der Worte, die so viel besagt wie „unter der vom Gesetzesbuchstaben geforderten Beschneidung“. Natürlich will Paulus es nicht für eine Gesetzesübertretung ausgeben, dass die Juden den Buchstaben des Beschneidungsgebotes festhalten, sondern nur dies, dass sie die Anbetung Gottes im Geiste die wahre Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Gericht und Wahrheit, fortwährend hinter jener äußerlichen Zeremonie zurücktreten lassen.

Denn das ist nicht ein Jude, der auswendig ein Jude ist, auch das nicht eine Beschneidung, die auswendig am Fleisch geschieht; sondern das ist ein Jude, der es inwendig verborgen ist, und die Beschneidung des Herzens ist eine Beschneidung, die im Geist und nicht im Buchstaben geschieht. – Will sagen: Ob jemand ein wahrer Jude ist, bemisst sich nicht nach der fleischlichen Abstammung, dem mündlichen Bekenntnis oder einem äußeren Zeichen. Auch besteht die Beschneidung, welche zum Juden macht, nicht allein in einer sichtbaren Handlung, sondern will innerlich verstanden sein. Was hier aber über die wahre Beschneidung steht, entnimmt der Apostel mehreren Bibelstellen oder vielmehr der allgemeinen Lehre der Schrift. Denn öfter heißt es, das Volk solle sein Herz beschneiden, und Gott verheißt, diese Beschneidung selbst vornehmen zu wollen (5. Mose 10.16; 30.6; Jeremia 4.4; Hesekiel 16.30 vergleiche 11.19). Nicht ein Stück eines Körperteiles bloß, sondern die Verderbnis der ganzen Natur galt als weg zu schneiden. Die Beschneidung galt als Abtötung des Fleisches überhaupt. Wenn nun der Apostel (Vers 29) hinzufügt, dass dieselbe im Geist und nicht im Buchstaben geschieht, so denkt er beim Buchstaben an die äußere Beobachtung des Gesetzes ohne innerliche Anteilnahme, beim Geist an den Zweck der Handlung, welcher geistlich ist. Hängt der ganze Wert der heiligen Zeichen und Formen an ihrem Zwecke, so bleibt lediglich ein an sich nutzloser Buchstabe, wenn man diesen Zweck hinweg nimmt. Der tiefere Grund dieser ganzen Aussprache liegt in folgender Wahrheit verborgen: Wo auch immer Gottes Wort gepredigt werden mag; Seine Vorschriften bleiben so lange Buchstabe und tote Worte, als sie nicht von Menschen mit reinem Herzen aufgenommen werden; erst wo sie in die Seele dringen, werden sie gewissermaßen in Geist verwandelt. Dabei liegt eine Anspielung an den Unterschied zwischen Altem und Neuem Bunde vor: Nach Jeremia 31.33 will ja Gott Seinen Bund erst dadurch zur Vollendung bringen, dass Er ihn in die Herzen schreibt. Eben dahin zielt auch ein anderes Wort des Paulus (2. Korinther 3.6), wenn er das Gesetz im Gegensatze zum Evangelium einen nicht bloß toten, sondern auch tötenden Buchstaben nennt, dem Evangelium aber den auszeichnenden Besitz des Geistes vorbehält. Doppelt unsinnig ist es daher, wenn man das, was Paulus „Buchstaben“ nennt, als den ursprünglichen Sinn versteht, und wenn man das, was er „Geist“ nennt, durch sinnbildliche Auslegung zu ersetzen sucht.

Eines solchen Lob ist nicht aus Menschen, sondern auf Gott. – Weil Menschenaugen leicht am Scheine hängen bleiben, so erklärt es der Apostel für unzureichend, sich mit der Anerkennung leicht täuschbarer Menschen zufrieden zu geben. Den Augen Gottes müssen wir standhalten, vor denen auch die verborgensten Geheimnisse des Herzens offen liegen. So werden die Heuchler, die sich nur zu leicht mit ihren Irrtümern beschwichtigen, immer wieder vor Gottes Gericht gezogen.