RÖMER

Römer Kapitel 2 Teil II

Römer 2.3-10

Denkst du aber, o Mensch, der du richtest die, so solches tun, und tust auch dasselbe, dass du dem Urteil Gottes entrinnen werdest? Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmütigkeit? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? Du aber nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufest dir selbst Zorn auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, welcher geben wird einem jeglichen nach seinen Werken: Preis und Ehre und unvergängliches Wesen denen, die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben; aber denen, die da zänkisch sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit, Ungnade und Zorn; Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun, vornehmlich der Juden und auch der Griechen; Preis aber und Ehre und Friede allen denen, die da Gutes tun, vornehmlich den Juden und auch den Griechen.

 

Denkst du aber, o Mensch, der du richtest die, so solches tun, und tust auch dasselbe. – Die bisherigen Sätze hatten das Ziel erreicht, Menschen, die sich mit selbst gemachter Heiligkeit betrügen, im Gerichte Gottes und des eigenen Gewissens zum Einverständnis ihrer Sündhaftigkeit zu bewegen. Nun gestaltet sich die Rede zu strengerem und eindringlichem Vorwurf. Und das ist nötig, denn derartige Menschen pflegen sich in eine wunderbare Sicherheit zu hüllen. Man muss ihr falsches Selbstvertrauen schon heftig angreifen. Hier lernen wir die beste Methode für die Erschütterung des heuchlerischen Selbstbetrugs kennen: Die Menschen müssen aus ihrer Trunkenheit aufgeweckt und in das Licht des göttlichen Gerichts gestellt werden.

Dass du dem Urteil Gottes entrinnen werdest? – Die Schlussfolgerung steigt vom Geringeren zum Größeren auf: Schon das irdische Gericht straft die Missetäter, wie viel mehr wird Gott, der einige vollkommene Richter, sie strafen! Ein göttlicher Trieb leitet die Menschen an, Verbrechen zu ahnden; aber solches Verfahren ist nur ein trübes und mattes Abbild des göttlichen Gerichts. Wie töricht ist es zu glauben, wir könnten dem Urteil Gottes entrinnen, da wir doch unsere Mitmenschen unserm vernichtenden Urteil nicht leicht entgehen lassen! Sehr nachdrücklich wiederholt der Apostel die Anrede: O Mensch! So wird der Mensch seinem Gott gegenüber gestellt.

Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmütigkeit? – Dies könnte ein anderweitiger Erklärungsgrund für die Sicherheit der Menschen sein. Und so verstehen es in der Tat einige Ausleger. Ich deute den Satz lieber als einen voreiligen Schluss, welchen viele Leute aus ihrem gegenwärtigen Wohlergehen auf den Ausfall des göttlichen Gerichts ziehen könnten. Werkheilige Menschen lassen sich ja leicht durch glückliche Erfolge zu dem hochmütigen Irrtum verleiten, als hätten sie Gottes Gnade mit ihren guten Taten verdient, wodurch sie natürlich noch mehr in der Leichtfertigkeit ihres Umgangs mit Gott bestärkt werden. Solcher Anmaßung tritt der Apostel entgegen und zeigt, dass Gott es ihnen äußerlich wohl gehen lässt, nicht etwa, weil sie Ihm besonders gefielen, sondern ganz im Gegenteil, um sie als Sünder zu sich zu bekehren. Wo also nicht Gottesfurcht herrscht, da ist Sicherheit im Glück nur Verachtung und Spott der göttlichen Güte. Daraus folgt, dass Gott dereinst nur kräftiger bestrafen wird, die Er in diesem Leben geschont hat; denn sie haben zu ihren übrigen Sünden die Verachtung des freundlich- lockenden Buß-Rufs gefügt.

Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? – Gott zeigt uns durch Seine Güte, dass wir uns zu Ihm kehren müssen, wenn wir es gut haben wollen; und zugleich macht Er uns damit Mut, auf Seine Gnade zu hoffen. Gottes Güte in anderem Sinne gebrauchen heißt sie missbrauchen. Und doch fordert die Absicht dieser Güte eine etwas verschiedene Deutung, je nachdem wohin sie sich richtet: Wenn Gott Seinen Knechten Freundlichkeiten und Wohltaten im Irdischen erweist, so enthüllt Er ihnen als solchen Zeichen allerdings Seine Gnade und gewöhnt sie zugleich, in Ihm den Inbegriff aller Güte zu suchen. Trägt Er aber Gesetzesverächter mit der gleichen Sanftmut, so will gewiss Seine Gütigkeit ihren Widerstand brechen; aber Seine gegenwärtige Gnade beweist Gott solchen Menschen noch nicht, Er will sie nur zur Buße leiten. Wollte aber jemand sagen, dass Gott doch tauben Ohren predige, solange Er die Herzen nicht innerlich anrührt, so diene zur Antwort: Anklagen darf man dabei nichts als die eigene Verkehrtheit.

Du aber nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufest dir selbst Zorn auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes. – Wo man sich gegen Gottes Lockungen verhärtet, erwächst ein unbußfertiges Wesen. Wer aber nicht um Besserung und Bekehrung sich besorgt zeigt, versucht Gott offensichtlich. Aus dieser wichtigen Stelle lernen wir die schon soeben berührte Wahrheit: Die Gottlosen häufen sich nicht allein täglich schweren Gotteszorn auf, solange sie leben, sondern gerade auch die göttlichen Gaben, die sie fortwährend brauchen und missbrauchen, werden ihnen zum Gerichte dienen; denn sie müssen von allem Rechenschaft geben. Was ihnen aber zur schwersten Schuld gereicht, wird dereinst offenbar werden, dass sie nämlich durch die Güte Gottes, die sie bessern sollte, sich haben schlechter machen lassen. Hüten wir uns, durch Missbrauch der Gaben Gottes uns solche Last zu häufen!

Auf den Tag des Zorns. – Jetzt sammeln die Gottlosen Gottes Unmut wider sich, aber dereinst erst wird dessen Gewalt sich auf ihr Haupt entladen. Sie häufen verborgenes Verderben, welches einst aus Gottes vorbehaltener Macht hervorbrechen wird. Der Tag des Jüngsten Gerichts heißt aber Tag des Zornes im Hinblick auf die Gottlosen: Für die Gläubigen ist er ein Tag der Erlösung. So wandeln sich auch andere Heimsuchungen Gottes für die Gottlosen in Furcht und Schrecken; dem Frommen sind sie lieb und süß. So oft ferner die Schrift der Nähe Gottes gedenkt, heißt sie die Frommen fröhlich springen: Wo aber Gott zu den Verworfenen sich kehrt, erregt Er Zittern und Grausen. „Dieser Tag“, sagt Zephanja 1.15, „ist ein Tag des Grimms, ein Tag der Trübsal und Angst, ein Tag des Wetters und Ungestüms, ein Tag der Finsternis und Dunkels, ein Tag der Wolken und Nebel.“ Vergleiche auch Joel 2.2. Auch Amos 5.18 ruft aus: „Wehe denen, die den Tag des Herrn begehren! Was soll er euch? Denn des Herrn Tag ist Finsternis und nicht Licht.“ Das Wort Offenbarung deutet auf die endliche klare Enthüllung des göttlichen Gerichts, dessen undeutliche Spuren zwar schon täglich sich zeigen, dessen vollen Ausbruch aber erst jener Tag des Zornes bringen wird. Dann werden die Bücher aufgetan, die Schafe von den Böcken geschieden, der Weizen vom Unkraut gereinigt.

Welcher geben wird einem jeglichen nach seinen Werken. – Weil Paulus es mit blinden Scheinheiligen zu tun hat, die ihre Herzensverkehrtheit mit der Schminke irgendwelcher hohlen Werke hinreichend bedeckt glauben, so beschreibt er eine wirkliche Gerechtigkeit aus Werken, welche wohl vor Gott bestehen könnte. Es soll eben niemand glauben, dass es zur Abfindung Gottes hinreicht, Worte und bloßen Tand oder Blätter statt der Früchte zu bringen. Dieser Ausspruch ist nicht so anstößig, wie er zu sein scheint. Denn wenn Gottes gerechte Strafe über die Verworfenen ergeht, so empfangen sie, was sie verdient haben. Und andererseits: Weil Gott zuerst heilig macht, die Er dereinst herrlich machen will, so empfangen auch in ihnen die guten Werke ihre Krone, aber nicht aus Verdienst. Dies kann man aus unserem Satze nicht herauslesen; derselbe sagt nur, dass gute Werke belohnt werden, keineswegs aber sagt er, dass sie an sich etwas wert sind oder einen bestimmten Preis beanspruchen könnten. Denn das ist töricht, aus dem Gedanken des Lohnes auf ein Verdienst zurückzuschließen.

Mit Geduld. – Diese Geduld ist mehr als bloße Ausdauer, die nicht müde wird, Gutes zu tun: Sie begreift auch die für den Christen unentbehrliche Widerstandskraft gegen das Leiden in sich, welche vielerlei Anfechtungen erduldet und dennoch standhält. Denn Satan lässt es nicht zu, dass wir graden Wegs zum Herrn kommen; er wirft uns zahllose Hemmnisse vor die Füße, um unsern Lauf in falsche Bahn zu lenken. Dass aber die Gläubigen mit Geduld in guten Werken nach Preis und Ehre und vergänglichem Wesen trachten, will nicht besagen, dass sie etwas anderes, Besseres und Höheres suchten als Gott selbst; aber wenn sie Ihn haben wollen, müssen sie sich zugleich nach den Gütern Seines Reiches ausstrecken. Und diese sind mit diesen Worten gemeint. Der Sinn ist: Gott wird denen das ewige Leben schenken, welche durch ihr Trachten nach guten Werken beweisen, dass sie etwas Besseres suchen als das vergängliche Wesen.

Die da zänkisch sind und der Wahrheit nicht gehorchen. – Zänkisch, das heißt aufrührerisch und widerspenstig gegen Gott, sind die Scheinheiligen, welche mit ihrer groben und trägen Abneigung gegen wirklichen Gehorsam tatsächlich Gottes spotten. Unter Wahrheit sind kurzweg die Anordnungen des göttlichen Willens zu verstehen, welcher allein uns über die Wahrheit Licht gibt. Das ist nämlich das gemeinsame Kennzeichen aller Gottlosen, dass sie viel lieber die Knechtschaft der Ungerechtigkeit als Gottes Joch auf sich nehmen: Gehorchen sie auch zum Scheine, so widerstreben und widerstreiten sie doch dem Worte Gottes hartnäckig und unaufhörlich. Die offenbar Abtrünnigen treten der Wahrheit offen entgegen; die Scheinheiligen trennen sich von ihr in feinerer Weise durch selbst erwählten Gottesdienst. Und der Apostel fügt hinzu, dass solche eigenwilligen Menschen der Ungerechtigkeit dienen. Denn einen Mittelweg gibt es nicht; entweder nimmt man Gottes Gesetz ganz auf sich oder man übergibt sich dem Dienst der Sünde. Darin offenbart sich die gerechte Strafe über den zügellosen Eigenwillen, dass der Sünde Knecht wird, wer Gott den Gehorsam versagt.

Trübsal und Angst sind die notwendige Folge dessen, was kurz zuvor steht: Ungnade und Zorn Gottes. Also mit nicht weniger als vier Worten beschreibt der Apostel das Unglück der Gottlosen, obgleich hierfür wie für das Glück der Frommen je ein Wort wohl ausreichend gewesen wäre; aber der hier wie dort ausführlichere Ausdruck soll einerseits die Furcht vor Gottes Zorn, andererseits die Sehnsucht nach Christi Gnade heftiger entzünden. Gottes Gericht muss uns in lebhaften Farben vor die Augen gemalt werden, wenn wir es lebhaft fürchten sollen. Und um einen brennenden Eifer für das zukünftige Leben zu erwecken, bedarf es vieler Lockmittel.

Vornehmlich der Juden und auch der Griechen; Preis aber und Ehre und Friede allen denen, die da Gutes tun, vornehmlich den Juden und auch den Griechen. – Ohne Zweifel werden hier von den Juden die Heiden ganz im Allgemeinen unterschieden; denn an die Stelle des nur scheinbar engeren Begriffes „Griechen“ tritt alsbald (Vers 14) das deutlichere Wort „Heiden“. Die Juden aber stehen hier voran, weil sie vor andern die Verheißungen und Drohungen des Gesetzes besaßen. Paulus gibt zu verstehen, dass dies die Ordnung des göttlichen Gerichtes ist, bei den Juden anzuheben und von dort aus den ganzen Erdkreis zu umspannen.