RÖMER

Römer Kapitel 2 Teil I

Römer 2.1-2

Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der da richtet. Denn worin du einen anderen richtest, verdammst du dich selbst; sintemal du ebendasselbe tust, was du richtest. Denn wir wissen, dass Gottes Urteil ist recht über die, so solches tun.

 

Diese Strafpredigt richtet sich gegen die Heuchler, welche dem menschlichen Auge einen Schein äußerlicher Heiligkeit vorspiegeln und welche zuletzt auch vor Gott so sicher werden, als hätten sie allen Seine Ansprüchen Genüge geleistet. Zu diesem scheinheiligen Geschlechte, welches durch den zuvor aufgestellten „Lasterkatalog“ sich nicht getroffen fand, wendet sich Paulus nun, nachdem die gröberen Laster hinreichend abgehandelt; denn keiner sollte sich der Gerechtigkeit vor Gott noch rühmen dürfen. Die sehr durchsichtige Beweisführung nimmt solchen Heuchlern alle Entschuldigung, weil auch sie Gottes gerechtes Gericht kennen und trotzdem das Gesetz übertreten. Paulus gibt zu verstehen: Wenn du auch die Laster der andern nicht billigst, ja dich geflissentlich als Feind und Richter des Lasters aufspielst, so hast du doch keine Entschuldigung, weil du bei ehrlicher Betrachtung dich selbst von solchen Fehlern nicht frei finden wirst.

Denn worin du einen anderen richtest, verdammst du dich selbst. – Damit steigert sich die Rede: Du bist doppelt verdammlich, weil du deine eigenen Fehler bei andern aufsuchst und unter Anklage stellst. Es ist ja eine bekannte Wahrheit, dass, wer von andern Rechenschaft über ihr Leben fordert, sich selbst in besonderem Maße zur Reinheit, Zucht und jeglicher Tugendübung verpflichtet. Lässt er sich aber die Fehler zuschulden kommen, die er anderen vorhält, so verdient er keine Gnade.

Sintemal du eben dasselbe tust. – Mit diesem Tun muss nicht gerade die äußerliche Handlung gemeint sein; es deutet vielmehr auf die innere Gesinnung. Denn die Sünde wurzelt recht eigentlich im Herzen. Darum fällt unser Urteil auf uns selbst zurück. Der Tadel, den wir aussprechen, kann ja nicht auf die Person des Diebes, des Ehebrechers, des Verleumders usw. beschränkt werden. Er trifft die Sünde als solche – und deren Keime stecken auch in uns.

Denn wir wissen, dass Gottes Urteil ist recht über die, so solches tun. – Paulus will den Heuchlern den Selbstbetrug austreiben: Es hilft ihnen gar nichts, dass die Welt sie lobt, oder dass sie sich selbst freisprechen; denn eine viel strengere Prüfung wartet ihrer im Himmel. Wenn Paulus uns der inneren Befleckung bezichtigt, die doch Menschen nicht sehen, also auch nicht beweiskräftig feststellen können, so zieht er uns damit vor das Gericht Gottes, vor dem auch die Finsternis licht ist, welchem niemand entgehen wird. Gottes Urteil aber ist recht in doppeltem Betracht: Es straft die Sünde ohne jedes Ansehen der Person, bei der sie festgestellt wird; und es gründet sich nicht auf den äußeren Schein; man befriedigt es nicht mit Werken, die nicht aus reinem Herzen kommen. Keine Maske zur Schau getragener Frömmigkeit wird Gottes Gericht abhalten, in die verborgenen Winkel der Sünde einzudringen.