Römer Kapitel 1 Teil VI

Römer 1.24-32

Darum hat sie auch Gott dahingegeben in ihrer Herzen Gelüste, in Unreinigkeit, zu schänden ihre eigenen Leiber an sich selbst, sie, die Gottes Wahrheit haben verwandelt in die Lüge und haben geehrt und gedient dem Geschöpfe mehr denn dem Schöpfer, der da gelobt ist in Ewigkeit. Amen.  Darum hat sie Gott auch dahingegeben in schändliche Lüste: denn ihre Weiber haben verwandelt den natürlichen Brauch in den unnatürlichen; desgleichen auch die Männer haben verlassen den natürlichen Brauch des Weibes und sind einander erhitzt in ihren Lüsten und haben Mann mit Mann Schande getrieben und den Lohn ihres Irrtums (wie es denn sein sollte) an sich selbst empfangen. Und gleichwie sie nicht geachtet haben, dass sie Gott erkennten, hat sie Gott auch dahingegeben in verkehrtem Sinn, zu tun, was nicht taugt, voll alles Ungerechten, Hurerei, Schalkheit, Geizes, Bosheit, voll Neides, Mordes, Haders, List, giftig, Ohrenbläser, Verleumder, Gottesverächter, Frevler, hoffärtig, ruhmredig, Schädliche, den Eltern ungehorsam, Unvernünftige, Treulose, Lieblose, unversöhnlich, unbarmherzig. Sie wissen Gottes Gerechtigkeit, dass, die solches tun, des Todes würdig sind, und tun es nicht allein, sondern haben auch Gefallen an denen, die es tun.

 

Die Gottlosigkeit ist ein verborgenes Übel, und es lässt sich als solches leicht verheimlichen. Darum schreitet der Apostel zu einem handgreiflichen Beweise, um jede Ausflucht abzuschneiden. Aus der verborgenen Gottlosigkeit sind Früchte erwachsen, welche nur als offenbare Gerichte des göttlichen Zornes verstanden werden können. Gottes Zorn aber verfährt immer gerecht; also muss verdammenswerte Schuld vorausgegangen sein. Der Apostel beleuchtet also der Menschen Abfall und Untreue durch ihre Früchte: Die Abkehr von Gottes Güte hat vielgestaltiges Verderben und tiefe Verkommenheit als ein Gericht Gottes nach sich gezogen. Dabei entsprachen die Laster der Menschen innerlich notwendig ihrer zuvor behaupteten Gottlosigkeit – ein deutliches Zeichen der gerechten Strafe. Nichts pflegt dem Menschen mehr anzuliegen als seine Ehre; der Inbegriff seiner Blindheit besteht aber darin, dass er diese Ehre wegwirft. So empfängt er die gerechte Strafe für die der Ehre Gottes angetane Schmach. Dieser eine Gedanke beherrscht in immer neuen Wendungen das Kapitel bis zum Ende; denn die Sache erfordert große Deutlichkeit. – Über die Art und Weise, wie Gott den Menschen in das Laster hineinstößt, bedarf es hier keiner langen Erörterung. So viel ist gewiss, dass Gott diesen Fall nicht bloß zulässt und duldet, sondern als gerechter Richter derartig anordnet, dass die Menschen teils von ihrer eigenen Lust teils vom Satan in diesen Strom des Verderbens hineingerissen werden. Deshalb schreibt der Apostel nach der geläufigen Denkweise der Schrift: Gott hat sie dahingegeben. Aus diesem Worte darf man nicht die Ansicht herauspressen, dass wir lediglich durch Gottes Zulassung in Sünde fallen. Denn gewiss hat uns Gott dem Satan als dem Vollstrecker Seines Zornes, gewissermaßen wie dem Henker, übergeben; aber derselbe treibt sein Werk nicht bloß, weil Gott ihn gewähren lässt, sondern weil Er es als Richter verordnet hat. Darum wird Gott doch nicht grausam, oder wir unschuldig. Denn Paulus sagt deutlich, dass niemand in des Satans Gewalt gerät, der er nicht wert wäre. Nur die Wahrheit müssen wir behaupten, dass der Ursprung der Sünde nicht in Gott liegt: Ihre Wurzeln stecken ganz und gar im Sünder selbst. Denn es steht unerschütterlich fest (Hosea 13.9): „Israel, du bringest dich in Unglück; bei mir steht allein dein Heil.“ – Die Verbindung, welche der Apostel zwischen den Gelüsten des menschlichen Herzens und der Unreinigkeit herstellt, zeigt, was alles ein sich selbst überlassenes Herz gebären mag. Die Worte „an sich selbst“ weisen sehr nachdrücklich darauf hin, welche tiefen und unauslöschlichen Brandmale die Frevler ihrem eigenen Leibe zufügen.

Die Gottes Wahrheit haben verwandelt in die Lüge und haben geehrt und gedient dem Geschöpfe mehr denn dem Schöpfer, der da gelobt ist in Ewigkeit. – Der bereits (Vers 23) angegebene Grund wird hier unserem Nachdenken noch einmal mit veränderten Worten eingeprägt. Wer Gottes Wahrheit in Lüge verwandelt, schmälert Seine Ehre. Und es ist nur gerecht, dass denjenigen allerlei Schande anhängt, welche Gottes Ehre zu rauben und Ihm Schmach zuzufügen sich erkühnt haben.

Und haben geehrt und gedient dem Geschöpfe mehr denn dem Schöpfer. – Gemeint ist die Sünde des eigentlichen Götzendienstes. Die religiöse Ehre, welche man der Kreatur gibt, ist dem Herrn freventlich geraubt. Dass man in den Bildern Gott selbst anbeten will, ist keine Entschuldigung; denn Gott will solchen Dienst nicht. Eine Ehre erweist man damit nicht dem wahren Gott, sondern einem Träume des Fleisches. Den Zusatz „der da gelobt ist in Ewigkeit“ verstehe ich als einen absichtlichen Hieb gegen den Götzendienst, in dem Sinne: Gott allein gebührt Ehre und Anbetung, davon soll man Ihm nicht das Geringste nehmen. 

Darum hat sie Gott auch dahingegeben. – Wie nach einem Zwischensatze kehrt die Rede zu dem Hauptgedanken von der Rache Gottes zurück: Als erstes Beispiel derselben verzeichnet sie die unnatürliche Fleischeslust, ein deutliches Zeichen, dass die verderbte Menschheit auf, ja unter die Stufe der Tiere durch Verkehrung der Natur herabsank. Dann folgt die lange Reihe der Laster, welche teils allezeit herrschten, teils hier und dort besonders sich breitmachten. Dabei trägt es nichts aus, dass freilich nicht jeder einzelne Mensch mit diesem ganzen Haufen von Lastern behaftet erscheint. Es genügt für die Feststellung des allgemeinen schmachvollen Zustandes, dass jeder ohne Ausnahme sich gezwungen sieht, irgendein Brandmal zuzugestehen. – Schändliche Lüste sind solche, die auch nach menschlichem Urteil als Schande gelten. Diese entsprechen aber der Schändung Gottes.

Der Lohn ihres Irrtums. – Wer vor dem hellen Lichte Gottes mutwillig die Augen verschließt, wer Gottes allein wahrhaft erleuchtende Herrlichkeit nicht sehen, und, soviel an ihm ist, auslöschen will, der verdient blind zu werden am lichten Tage, damit er sich selbst vergesse und nicht mehr wisse, was recht ist.

Und gleichwie sie nicht geachtet haben, dass sie Gott erkennten, hat sie Gott auch dahingegeben in verkehrtem Sinn. – Beachte das feine Wortspiel, dessen Gleichklang Sünde und Strafe innerlich miteinander verbindet: Gleichwie sie verworfen haben, in der Erkenntnis Gottes zu verharren, die doch allein unsere Sinne zu rechter Einsicht leitet, so hat Gott ihnen einen verworfenen Sinn gegeben, der verlernt hat, das Böse zu verwerfen. Die haben die Erkenntnis Gottes verworfen, weil sie derselben nicht mit gebührendem Eifer nachgingen und ihre Gedanken absichtlich von Gott abwendeten.

Zu tun, was nicht taugt. – Weil der Apostel bisher nur jenes scheußliche, zwar weit, aber doch nicht allgemein verbreitete Laster beispielsweise genannt hatte, so beginnt er nun, schwere Fehler aufzuzählen, von denen niemand frei gefunden wird. Was nicht taugt – dies zielt auf jegliche Unvernunft und Pflichtwidrigkeit. Das alles sind Zeichen eines verkehrten Sinnes, dass die Menschen ohne Bedenken solchen Fehlern sich hingeben, welche schon der gemeine Menschenverstand verwirft.

In der Aufzählung der Laster würde man vergeblich versuchen, eines aus dem andern abzuleiten. Paulus schreibt, ohne einen Zusammenhang zu berücksichtigen, wie ihm die Dinge in den Sinn kommen. Wir erklären kurz einzelne Stücke. Ungerecht handelt, wer Rechtsansprüche verletzt und nicht jedem das Seine gibt. Die alsbald genannte Bosheit ist dagegen jene Verkehrtheit des Sinnes, die dazu neigt, dem Nächsten Schaden zu tun. Unter dem Hader wird Paulus Streitereien, zänkischen und unruhigen Sinn verstehen.

Ohrenbläser und Verleumder unterscheiden sich folgendermaßen: Die ersteren stören die Freundschaft zwischen guten Menschen durch heimliche Einflüsterungen, säen Hass uns Zwiespalt und verletzen dadurch Unschuldige. Die tief gewurzelte Bosheit der Verleumder schont keinen guten Ruf. Sie fallen in wahrem Wohlbehagen an der Lästerung über jeden her, er mag es verdienen oder nicht. Gottesverächter, nicht Gottverhasste, obgleich das griechische Wort an sich auch dieses bedeuten könnte; aber es wäre nicht abzusehen, weshalb Paulus die Reihe der Laster durch Angabe einer Strafe unterbrechen sollte. Gemeint sind Leute, welche sich von Gott abwenden, weil Seine Gerechtigkeit ihren Verkehrtheiten im Wege steht. Frevler sind schwere Verbrecher, welche Räubereien, Diebstähle, Brandstiftungen, Giftmorde usw. begehen. Hoffärtig sind Menschen, welche hoch über alle andern herfahren, jedermann von oben herab behandeln und sich mit niemand auf gleiche Stufe stellen wollen. Ruhmredig ist, wer ein eitles, vermessenes Selbstvertrauen zur Schau trägt.

Treulose Menschen kennen keine Pflichten gegen die Gemeinschaft; sie zerreißen dieselbe freventlich und zeigen sich unzuverlässig und wankelmütig. Lieblosen Menschen fehlt der Sinn für die menschliche Hingabe und Hilfsbereitschaft, welchen schon die Natur uns lehren kann. Aus der Tatsache, dass hier die Unbarmherzigkeit unter den Zeichen der menschlichen Verderbtheit genannt wird, zieht Augustin gegenüber den selbstgenugsamen stoischen Philosophen den Schluss, dass die Barmherzigkeit eine eigenartige Tugend der Christen sei.

Sie wissen Gottes Gerechtigkeit, dass, die solches tun, des Todes würdig sind, und tun es nicht allein, sondern haben auch Gefallen an denen, die es tun. – Hiermit beschreibt der Apostel einen Grad des Verderbens, welcher die lasterhaften Taten an sich noch überbietet. Nichts haben die Menschen an der zügellosesten Frechheit im Sündigen fehlen lassen: Sie haben den Unterschied von Gut und Böse ausgeglichen; und Dinge finden ihren Beifall, von denen sie recht gut wissen, dass Gott sie verurteilt und dass sie Ihm missfallen. Diese Schamlosigkeit, welche sich im Laster spiegelt, welche bei sich selbst Fehler für Tugenden erklärt und bei andern das Böse durch Rat und Beifall mehrt, bezeichnet die höchste Stufe der Verworfenheit. So beschreibt die Schrift die hoffnungslose Schlechtigkeit (Sprüche 2. 14; Jeremia 11.15): „Wenn sie übel tun, sind sie guter Dinge darüber.“ Solange ein Mensch sich noch schämen kann, mag ihm wohl geholfen werden. Wo aber die gewohnheitsmäßige Sünde eine so hochgradige Schamlosigkeit erzeugt hat, dass Laster als lobenswerte Tugenden gelten, da ist alle Hoffnung auf Umkehr geschwunden.