Römer Kapitel 1 Teil IV

Römer 1.16-17

Denn ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben, die Juden vornehmlich und auch die Griechen. Sintemal darin offenbart wird die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben; wie denn geschrieben steht: „Der Gerechte wird seines Glaubens leben.“

 

Ich schäme mich … nicht. – Dies Wort kommt dem Spott der Ungläubigen zuvor und schiebt ihn achtlos zur Seite. Zugleich erhebt es die Würde des Evangeliums, damit niemand dasselbe den Römern verächtlich mache. Dabei kann man zwischen den Zeilen lesen, dass Paulus sich selbst vor der Welt verachtet sieht, wenn er sagt: Ich schäme mich nicht. So bereitet der Apostel seine Leser vor, die Schmach des Kreuzes Christi zu tragen: Sie mögen das Evangelium deshalb nicht geringer schätzen, weil sie es vom Hohn und Spott der Gottlosen überschüttet sehen. Vielmehr wird uns der hohe Wert des Evangeliums für die Frommen enthüllt. Fordert die Kraft Gottes unsere ganze Ehrerbietung, so sollen wir wissen: Sie leuchtet im Evangelium. Ist Güte begehrens- und liebenswert – das Evangelium ist dieser Güte Werkzeug; denn es will uns selig machen. So erscheint es verehrungswürdig und liebenswert zugleich. Wir wollen dabei wohl beachten, welch unvergleichliche Würde Paulus der Predigt des Wortes zuschreibt, wenn er bezeugt, dass Gott eben in sie die Kraft gelegt habe, selig zu machen. Da ist nicht von irgendeiner geheimen Offenbarung die Rede, sondern von der mündlichen Predigt. Wie verachtet man also mutwillig Gottes Kraft, wie stößt man Gottes erlösende Hand von sich, wenn man sich dem Hören der Predigt entzieht! Weil aber Gottes Kraft nicht überall erfolgreich wirkt, sondern nur dort, wo der Geist als ein innerlich unterweisender Lehrer die Herzen erleuchtet, darum fügt der Apostel hinzu: Alle, die daran glauben. Zur Seligkeit wird zwar das Evangelium jedermann angeboten, aber es beweist nicht überall seine Kraft. Dass es aber für die Gottlosen ein Geruch des Todes wird, das ist nicht die Folge seiner Natur, sondern ihres bösen Willens. Es offenbart nur eine Seligkeit und schneidet jede andere Hoffnung ab: Wer dieser einzigen Seligkeit sich entzieht, empfängt im Evangelium gewissermaßen die Offenbarung seiner Verlorenheit. Weil also das Evangelium ohne Unterschied alle Menschen zur Seligkeit einlädt, so heißt es im eigentlichen Sinne eine selig machende Botschaft. Denn Christus ist darin, dessen eigentliches Amt es ist, selig zu machen, was verloren ist. Wer sich aber von Ihm nicht selig machen lassen will, wird Ihn als Richter kennen lernen. Übrigens bildet in der Heiligen Schrift die Seligkeit häufig den Gegensatz zum Verlorengehen. Daraus lässt sich abnehmen, um was es sich handelt. Weil das Evangelium uns frei macht von der Qual und dem Fluch des ewigen Todes, darum besteht die Seligkeit, welche es bringt, im ewigen Leben.

Die Juden vornehmlich und auch die Griechen. – Der Name Griechen umfasst hier alle Heiden, wie aus der Zweiteilung hervorgeht, welche doch die ganze Menschheit umspannen soll. Dabei bleibt den Juden ihr Vorzug, weil ihnen zunächst die Verheißung und Berufung galt. Aber die Heiden werden alsbald im zweiten Grade hinzugefügt.

Sintemal darin offenbart wird die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. – Dieser Satz erläutert und begründet die vorige Aussage, dass das Evangelium eine Kraft sei, selig zu machen. Wer Seligkeit, das heißt Leben, in der Gemeinschaft Gottes sucht, muss vor allen Dingen Gerechtigkeit suchen: Gerechtigkeit macht uns Gott angenehm, und nur wenn wir einen gnädigen Gott haben, können wir das Leben besitzen, welches im Genuss der göttlichen Güte besteht. Gottes Liebe ruht nur auf Gerechten, Ungerechtigkeit ist Ihm verhasst. Es wird uns also eingeschärft, dass sich Seligkeit nur aus dem Evangelium schöpfen lässt; denn nirgends sonst hat Gott Seine Gerechtigkeit geoffenbart, welche allein vom Verlorengehen erlöst. Diese Gerechtigkeit ist das Fundament der Seligkeit, und weil sie im Evangelium eröffnet ward, darum heißt das Evangelium eine Kraft, selig zu machen. – Es gilt aber genauer zu erwägen, welch seltenen und kostbaren Schatz uns der Herr im Evangelium schenkt: Die Mitteilung Seiner Gerechtigkeit. Unter „Gerechtigkeit Gottes“ verstehe ich diejenige, die vor Gott gilt, die in Seinem Gerichte die Probe besteht. So heißt „Gerechtigkeit der Menschen“ eine solche, die nur vor Menschenurteil als Gerechtigkeit erscheint, die aber vielleicht in Wahrheit eitler Dunst ist. Ohne Zweifel schweben diesem Worte des Paulus viele Weissagungen vor, mit welchen der Geist Gottes auf die herrliche Gerechtigkeit Gottes in Christi künftigem Königreiche vorausdeutete. Andere übersetzen: „Die Gerechtigkeit, die uns von Gott geschenkt wird.“ Nun kann ja dies zweifellos einen brauchbaren Sinn haben: Weil Gott uns durch das Evangelium Gerechtigkeit schenkt, darum macht Er uns selig. Immerhin scheint unsere Übersetzung besser zu passen. Aber ich will darüber nicht lange streiten. Viel wesentlicher erscheint, dass viele diese Gerechtigkeit nicht bloß in der Vergebung der Sünden bestehen lassen, sondern zum Teil auch in der Gnadengabe eines innerlich erneuerten Lebens. Ich aber verstehe die Sache so, dass uns Gott lediglich deshalb zum Leben annimmt, weil Er uns in freier Gnade mit sich aussöhnt. Doch davon werden wir gegebenen Orts ausführlich handeln (zu 3.21; 4.6). – An die Stelle des früheren Ausdrucks „alle, die daran glauben“ tritt jetzt der andere: „aus Glauben“. Denn das Evangelium bietet die Gerechtigkeit aus, und der Glaube eignet sie sich zu. Und der Apostel fügt hinzu: In Glauben. Denn so viel unser Glaube wächst und in solcher Erkenntnis fortschreitet, um so viel wächst zugleich in uns die Erfahrung von der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und der Besitz dieser Gerechtigkeit schlägt sozusagen tiefere Wurzeln. Im Anfange unserer Erfahrung vom Evangelium zeigt sich uns zwar Gottes freundliches Angesicht zugekehrt, aber nur wie aus der Ferne: Je mehr aber die Frömmigkeit ausreift, um so viel nähern wir uns gewissermaßen dem Herrn und schauen Seine Gnade deutlicher und vertrauter.

Wie denn geschrieben steht. – Jene Glaubensgerechtigkeit beweist der Apostel mit einem Spruch des Propheten Habakuk. In einer Stelle, welche das Gericht über die Stolzen weissagt, fügt derselbe hinzu: Der Gerechten Leben stehe im Glauben. Nun leben wir aber vor Gott nicht ohne Gerechtigkeit; daraus folgt, dass gerade auch unsere Gerechtigkeit im Glauben beruhen muss. Die Zukunftsform des Zeitwortes erinnert dabei, dass das Leben des Gerechten in Ewigkeit währen wird. Es bleibt nicht allein in der Gegenwart, sondern in alle Zukunft. Auch die Gottlosen schmeicheln sich mit einem Trugbilde vom Leben; aber wenn sie sagen: Es ist Friede, es hat keine Gefahr, wird sie das Verderben schnell überfallen (1. Thessalonicher 5.3). Sie haben also nur ein Schattenbild, das einen Augenblick währet; der Glaube dagegen allein ist es, der dem Leben ewige Dauer verleiht. Das kommt daher, dass er uns zu Gott führt und unser Leben in Ihn hineinzieht. Denn der Apostel würde diesen Spruch nur höchst unpassender weise anführen, wenn die Meinung des Propheten nicht wäre, dass wir dann erst einen festen Stand gewinnen, wenn unser Glaube sich auf Gott stützt. Und sicherlich hängt er nur deswegen das Leben der Frommen an den Glauben, weil derselbe dem Stolz der Welt den Abschied gibt und allein unter Gottes Schutz seine Zuflucht sucht. Allerdings behandelt der Prophet diese Wahrheit nicht ausdrücklich, erwähnt also auch die frei geschenkte Gerechtigkeit nicht; aber aus dem Wesen des Glaubens lässt sich ersehen, dass der Prophetenspruch ganz wohl mit dem vorliegenden Gegenstande zusammenstimmt. Dieser Gedankengang ergibt auch, wie innerlich notwendig Glaube und Evangelium aneinander gekettet werden. Weil es nämlich heißt: der Gerechte wird kraft seines Glaubens leben; so folgt daraus, dass man jenes Leben durch das Evangelium empfängt.

Damit haben wir das Hauptthema des ersten Teiles des Briefes erreicht: Wir werden gerecht gesprochen allein durch Gottes Erbarmen vermittelst des Glaubens. Dies sagen des Apostels Worte zwar noch nicht ausdrücklich. Aber der Zusammenhang wird alsbald ergeben, dass die auf den Glauben gegründete Gerechtigkeit sich ganz auf Gottes Erbarmen stützt.