RÖMER

Römer Kapitel 1 Teil II

Römer 1.8-12

Aufs erste danke ich meinem Gott durch Jesus Christus euer aller halben, dass man von eurem Glauben in aller Welt sagt. Denn Gott ist mein Zeuge, welchem ich diene in meinem Geist am Evangelium von seinem Sohn, dass ich ohne Unterlass euer gedenke und allezeit in meinem Gebet flehe, ob sich’s einmal zutragen wollte, dass ich zu euch käme durch Gottes Willen. Denn mich verlangt, euch zu sehen, auf dass ich euch mitteile etwas geistlicher Gabe, euch zu stärken; das ist, dass ich samt euch Ermunterung empfinge durch euren und meinen Glauben, den wir untereinander haben.

 

Aufs erste. – Hier beginnt eine überaus zweckmäßige Einleitung, in welcher Paulus mit Gründen, die aus der beiderseitigen Stellung abgeleitet sind, die Bereitschaft seiner Leser, ihn anzuhören, trefflich stärkt. Was die Stellung der Leser angeht, so ist solcher Grund die allgemein bekannte Tatsache ihres Glaubens, welche der Apostel erwähnt. Er gibt damit zu verstehen, dass diese öffentliche Anerkennung von Seiten der christlichen Gemeinden ihnen eine Pflicht auferlegt: Sie können den Apostel des Herrn nicht verwerfen, ohne die allgemeine gute Meinung Lügen zu strafen; und dies wäre doch unmenschlich und eigentlich treulos. Dieses Zeugnis, mit welchem der Apostel anheben musste, stärkt also einerseits seine eigene Gewissheit, dass er williges Gehör finden werde, und erleichtert ihm, das Werk der Lehre und des Unterrichts jetzt anzugreifen; andererseits band es die Römer, die Autorität des Apostels nicht zu verachten. Was seine eigene Stellung betrifft, so muss die Bezeugung seiner tief gewurzelten Liebe die Leser zur Folgsamkeit bewegen. Nichts aber öffnet einem Berater williger die Herzen, als wenn er das Vertrauen gewinnt, dass er in reiner Absicht rate und täte. – Von Einzelheiten scheint in erster Linie bemerkenswert, dass Paulus den Glauben der Leser lobt, aber mit einer Wendung, welche den Ursprung desselben auf Gott zurückführt. Wir lernen daraus, dass der Glaube ein Geschenk Gottes ist. Denn wenn danken heißt, Wohltaten anerkennen, so gestehen wir zu, unsern Glauben von Gott empfangen zu haben, wenn wir an Gott den Dank dafür erstatten. Wenn wir aber sehen, dass der Apostel seine Anerkennung überall mit Dank gegen Gott anhebt, so sollen wir erkennen, dass alles Gute, was wir haben, uns von Gott geschenkt ward. Auch wir mögen wohl eine solche Redeweise annehmen: Wir werden dadurch eifriger werden, Gott als den Geber aller guten Gaben zu erkennen, und wir werden andere mit uns zu gleichem Sinne erwecken. Soll man diese Regel bei den geringsten Danksagungen beobachten, so am allermeisten, wenn es sich um den Glauben handelt, der eine einzigartige, nicht allen gleichermaßen zuteilwerdende Gnadengabe Gottes ist. – Weiter haben wir hier ein Beispiel dafür, wie wir unsern Dank durch Christus anbringen sollen (vergleiche auch die apostolische Vorschrift in Hebräer 13.15): Ganz ebenso durch Christus, wie wir ja auch durch seinen Namen Barmherzigkeit vom Vater erbitten und empfangen. – Endlich nennt Paulus den Herrn seinen Gott. Das herrliche Vorrecht, so zu reden, besitzen allein die Gläubigen. Darunter verbirgt sich ja die Wechselbeziehung, welche die Verheißung ausdrückt (Jesaja 30.22): Ich will ihr Gott sein, sie sollen mein Volk sein. Indessen möchte ich hier diese Redeweise noch genauer aus dem besonderen Amt des Paulus erklären; sie weist auf den persönlichen Gehorsam hin, welchen er seinem Gott leistet, wenn er das Evangelium predigt. So nennt Hiskia den Herrn des Jesaja Gott, um diesem das Zeugnis eines wahren und treuen Propheten zu geben (Jesaja 37.4). So heißt Gott in besonderem Sinne Daniels Gott (Daniel 6.21), weil Daniel Ihm ohne Unterlass diente.

In aller Welt sagt. – Für sein Urteil über den Glauben der Römer wog dem Paulus die Aussage rechtsinniger Menschen so viel wie die der ganzen Welt. Denn über diesen Glauben, welchen sie verabscheuten, konnten die Ungläubigen natürlich kein verlässiges und gültiges Zeugnis geben. Sagt man von dem Glauben der Römer in aller Welt, so denken wir an die frohe Rede aller Gläubigen. Dass die Existenz einer Handvoll verachteter Menschen den Ungläubigen selbst in Rom entging, verschlägt nichts: Bei deren Urteil, welches auch in der Tat nichts bedeutete, hielt Paulus sich nicht auf.

Denn Gott ist mein Zeuge. – Paulus beweist seine Liebe mit ihren Früchten. Hätte er die Römer nicht innigst geliebt, so würde er ihr Heil nicht so eifrig dem Herrn befohlen haben; so hätte er noch weniger einen so brennenden Eifer an die Förderung desselben gewendet. Jene Fürsorge und dieser Eifer sind sichere Zeichen der Liebe. Auf einem andern Stamme wachsen solche Früchte nicht. Um nun seiner Predigt Eingang zu schaffen, will Paulus die Leser besonders kräftig von seiner lauteren Zuverlässigkeit überzeugen: Darum gebraucht er eine eidliche Versicherung; das sicherste Mittel, einer dem Zweifel ausgesetzten Behauptung die erwünschte Kraft und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Denn, wenn schwören heißt: Gott zum Zeugen für die Wahrheit unserer Rede aufrufen; so wird man ganz vergeblich bestreiten, dass der Apostel hier geschworen habe. Dennoch hat er Christi Vorschrift (Matthäus 5.33-37) nicht übertreten. Wir entnehmen daraus nur, dass Christus nicht – wie der wiedertäuferische Aberglaube wähnt – den Eid ganz abschaffen, sondern lediglich zur rechten Erfüllung des Gesetzes zurücklenken wollte. Das Gesetz aber erlaubt den Eid und verbietet nur Meineid und überflüssiges Schwören. Wollen wir also richtig schwören, so müssen wir die nüchterne Wahrhaftigkeit und gläubige Gewissenhaftigkeit zum Vorbilde nehmen, welche die Apostel in diesem Stück zeigen. Zum Verständnis der Formel sei bemerkt, dass, wenn wir Gott zum Zeugen anrufen, Er auch im Falle der Unwahrheit als Rächer dastehen wird. Dies hat Paulus auch einmal in die Form gekleidet (2. Korinther 1.23): „Ich rufe Gott zum Zeugen an auf meine Seele.“

Welchem ich diene in meinem Geist. – Weltmenschen, welche Gottes spotten, pflegen seinen Namen in frevler Sicherheit zu missbrauchen. Demgegenüber sichert Paulus die eigene Glaubwürdigkeit durch eine Erinnerung an seinen frommen Sinn. Denn wo man Furcht und Ehrerbietung gegen Gott kennt, hütet man sich vor falschem Schwur. Weiter aber redet Paulus von einem Dienst im Geiste, zum Unterschiede von äußerlichem Schein. Es gibt ja viele Leute, die sich als Verehrer Gottes ausgeben und auch dem Schein nach solche sind. Deshalb bezeugt aber Paulus, dass er Gott von Herzen (in seinem Geiste) dient. Möglich, dass er auch an die Zeremonien des Alten Bundes denkt, mit denen die Juden Gott allein dienen zu können meinten. Er will da also sagen: Diese Gebräuche übe ich nicht, aber ich bin doch ein Verehrer Gottes. So spricht er es auch in Philipper 3.3 aus: „Wir sind die Beschneidung, die wir Gott im Geiste dienen und rühmen uns von Christus Jesus und verlassen uns nicht auf Fleisch.“ Er rühmt sich also, Gott in aufrichtiger, innerlicher Frömmigkeit zu dienen, die ja wahre Religion und Gottesverehrung ist. Des Weiteren beweist er durch ein Zeichen, dass er dem Herrn in Wahrheit dient: Dies Zeichen ist seine Arbeit. Denn einen deutlicheren Beweis für jemandes Aufopferung zu Gottes Ehre kann es nicht geben, als die Selbstverleugnung, welche alle Lasten der Schande, der Dürftigkeit, des Todes und der Verhasstheit ohne Zögern auf sich nimmt, um Gottes Reich auszubreiten. Damit unterscheidet sich der Apostel von den Heuchlern, welche ganz etwas anderes wollen, als dem Herrn dienen: Die meisten treibt der Ehrgeiz oder ähnliche Untugend; deshalb sind sie weit entfernt, treulich und von Herzen ihr Amt zu führen. Hier schöpfen wir eine heilsame Lehre, die den Dienern am Worte starken Mut einflößen kann, wenn sie hören, dass ihre Predigt des Evangeliums dem Herrn einen erwünschten und wertvollen Dienst leistet. Was mag aber wider sie sein, wenn sie doch wissen, dass Gott ihre Arbeit billigt und als einen wahren Gottesdienst annimmt? – „Evangelium vom Sohne Gottes“ heißt es hier, weil Christus durch dasselbe verherrlicht wird; denn Christi Aufgabe war es, Seine und eben dadurch des Vaters Herrlichkeit zu offenbaren.

Dass ich ohne Unterlass euer gedenke. – Einen noch größeren Beweis für die Inbrunst seiner Liebe liefert des Apostels anhaltendes Gebet. Denn das war etwas Großes, dass er in keinem einzigen Gebet vergaß, ihrer zu gedenken. Natürlich spricht er nicht von jeder flüchtigen Anrufung Gottes, sondern nur von solchen Gebeten, bei welchen die Frommen, wenn sie sich zu ihnen die Zeit nehmen, alle andern Gedanken beiseitelassen, und zu welchen sie sich völlig zu sammeln pflegen. Denn leicht mochte dem Apostel irgendein plötzlicher Gebetsseufzer aufsteigen, ohne dass er dabei an die Römer dachte; aber so oft er ausdrücklich und absichtlich zu Gott betete, vergaß er neben andern auch sie nicht. Er spricht also von solchen Gebeten insonderheit, zu welchen die Heiligen in bestimmter Ordnung sich anschicken, wie wir ja auch wissen, dass der Herr selbst dafür die Einsamkeit gesucht. Dabei finden wir eine leise Andeutung, wie häufig und regelmäßig der Apostel so gebetet hat; denn er sagt, dass er solchem Gebet ohne Unterlass obliege.

Und allezeit in meinem Gebet flehe, ob sich’s einmal zutragen wollte, dass ich zu euch käme durch Gottes Willen. – Niemand glaubt an die Lebhaftigkeit unseres Eifers für irgendein Ding, wenn wir nicht bereit sind, dieselbe mit der Tat zu beweisen. Darum rühmt der Apostel seine Besorgnis um das Heil der Leser nicht bloß mit Worten, sondern fügt vor Gottes Angesicht als einen neuen Beweis seiner Liebe hinzu, dass sein Gebet sich darauf richtet, ihnen nützlich sein zu können. Zur Verdeutlichung des Gedankenfortschritts mögen wir ein „auch“ einschieben: „und ich flehe auch“ usw. Wenn er aber den Ausdruck wählt: Dass ich zu euch käme durch Gottes Willen – so erbittet er damit von Gott nicht etwa bloß Glück für die Reise, sondern ob seine Reise ein Glück sei, das ermisst er daran, ob sie mit Gottes Willen geschehen könne. Nach dieser Regel müssen sich alle unsere Gebetswünsche richten.

Denn mich verlangt, euch zu sehen. – Paulus konnte auch aus der Ferne den Glauben der römischen Christen durch seine Lehre stärken; aber weil die persönliche Gegenwart stets passenderen Rat finden lehrt, darum wünscht er nahe zu sein. Den Zweck seiner Absicht drückt er aber so aus, dass man sieht, er wolle nicht um seines, sondern um ihres Vorteils willen die Mühe auf sich nehmen. Unter geistlicher Gabe versteht er Vorzüge der Lehre, der Ermahnung oder der Weissagung, welche er sich bewusst war, von Gottes Gnade empfangen zu haben. Auf den rechten Gebrauch solchen Besitzes deutet das Wort „mitteilen“. Denn dazu hat recht eigentlich ein jeglicher seine Gaben empfangen, damit er sie den andern Gliedern mitteile (Römer 12.3; 1. Korinther 12.11).

Euch zu stärken. – Damit wird wieder etwas gemildert, was der Apostel soeben von der Mitteilung sagte. Es soll der Schein getilgt werden, als hielte Paulus die Leser für bedürftig, wieder in den ersten Anfangsgründen unterwiesen zu werden, als ob sie Christus noch nicht richtig kennen gelernt hätten. Er bietet ihnen also seine Hilfe an, um sie trotz aller bisherigen Fortschritte weiterzuführen. Denn der Stärkung bedürfen wir alle, bis wir das Maß des vollkommenen Alters Christi erreicht haben werden (Epheser 4.13). Aber der Apostel unterbietet auch noch diese Bescheidenheit: Er verbessert gewissermaßen den bisher gebrauchten Ausdruck: Nicht ein solcher Lehrer will er sein, der es verschmähte, auch wiederum von ihnen zu lernen. Er will sagen: So möchte ich nach dem Maß der mir verliehenen Gnade euch stärken, dass euer Beispiel meinem Glauben neue Frische bringt und wir vereinigt vorwärts streben. Siehe, wie tief lässt sich der wahrhaft fromme Sinn herab – Er weigert sich nicht selbst von schwachen Anfängern Stärkung anzunehmen! Und doch redet hier nicht etwa eine erheuchelte Demut: denn so gering ist niemand in der Gemeinde Christi, dass er uns gar keinen Segen mitteilen könnte. Aber unser böser Stolz hindert uns, herüber und hinüber solche Frucht zu empfangen. Unser Hochmut und der Rausch unserer Selbstüberhebung lässt uns andere verachten, als ob wir sie nicht brauchten und uns selbst genug sein könnten. – Mit Bucer übersetze ich lieber „Ermunterung“ als Trost. Denn das erstere passt besser in den Zusammenhang.