Philipper Kapitel 2 Teil II

Philipper 2.5-11

Ein jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war, welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er’s nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern äußerte sich selbst, und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein anderer Mensch, und an Gebärden als ein Mensch erfunden; er erniedrigte sich selbst, und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht, und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen alle derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr sei zur Ehre Gottes, des Vaters.

 

Ein jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war. – Die Demut, zu welcher der Apostel bisher durch Worte ermahnt hat, empfiehlt er jetzt durch das Vorbild Christi. Zwei Hauptgedanken treten uns dabei entgegen: Zuerst werden wir zu Christi Nachfolge aufgefordert, welche die Regel unseres Lebens ist, dann lockt uns der Apostel mit dem Hinweis, dass dieser Weg allein zu wahrer Herrlichkeit führt. – An die allgemeine Mahnung, dass wir gesinnt sein sollen, wie Jesus Christus auch war, schließt sich eine genauere Beschreibung der Demut, für welche Christus das Beispiel gab:

Welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war. – Das ist freilich kein Vergleich gleichstehender Größen, sondern einer großen mit einer sehr geringen Sache. Christi Demut bestand darin, dass Er von der höchsten Stufe der Ehre herabstieg zur tiefsten Erniedrigung. Unsere Demut dagegen besteht darin, dass wir uns nicht in verkehrter Selbsteinschätzung überheben. Christus verzichtet auf Sein Recht – von uns wird dagegen nur verlangt, dass wir uns nicht mehr herausnehmen, als uns zukommt. Christi Erniedrigung nahm damit ihren Anfang, dass Er, da Er in göttlicher Gestalt war und es nicht für etwas Unerlaubtes hielt, in dieser Gestalt aufzutreten – doch sich erniedrigte. Wie töricht ist es daher, wenn wir uns im Hochmute erheben, da der Sohn Gottes von einer solchen Höhe herabstieg! Wir, die wir nichts sind! Der Ausdruck „göttliche Gestalt“ bezeichnet hier die Majestät. Denn wie wir den Menschen an der Form seiner Erscheinung erkennen, so ist die Majestät, die uns von Gott entgegenstrahlt, Seine Gestalt. Das ist ganz ebenso, wie zu eines Königs „Gestalt“ alle seine glanzvollen Abzeichen gehören: Das Zepter, die Krone, der königliche Mantel, die Herolde, der Thron und die anderen Zeichen der königlichen Würde. Christus war also vor Erschaffung der Welt in göttlicher Gestalt, weil Er vom Anfange an seine Herrlichkeit bei Vater hatte (vergleiche Johannes 17.5). Denn an der Weisheit Gottes war, bevor sie unser Fleisch an sich nahm, nichts Niedriges und Verächtliches, sondern eine Herrlichkeit, die Gottes Würde entspricht. Obgleich Er nun ein solcher war und ohne Unrecht sich als ein solcher zeigen konnte, der Gott gleich ist, so trug Er es doch nicht zur Schau, was Er war, noch nahm Er vor den Augen der Menschen das an, was Ihm von Rechts wegen zukam.

Christus hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein. – Wäre Christus in gottgleicher Erscheinung aufgetreten, so wäre dies kein Unrecht gewesen. Denn wenn der Apostel sagt: Er hielt die Gottgleichheit nicht für einen Raub, so bringt er damit zum Ausdruck, dass Christus sich derselben als Seines guten Rechtes bewusst sein durfte. Und wir entnehmen daraus, dass Seine Herablassung nicht ein Werk des Zwanges, sondern des freien Willens war.

Ein jeder sieht leicht ein, dass Paulus bisher von Christi Herrlichkeit redete, um dadurch die Größe Seiner Erniedrigung deutlich zu machen. Er sagt uns nicht, was Christus getan hat, sondern was Ihm zu tun erlaubt gewesen wäre. Wer übrigens in diesen Worten nicht eine klare Bezeugung der Gottheit Christi sieht, muss ganz blind sein. Nur weil Gottes Wesen in Christo war, besaß Er eine rechtmäßige, nicht geraubte Gottgleichheit. Denn es bleibt ewig wahr, was Gott spricht (Jesaja 48.11): Ich will meine Ehre keinem anderen lassen. Allerdings ist nicht ausdrücklich von göttlichem Wesen, sondern nur von göttlicher „Gestalt“ die Rede. Aber wo sollte sich außerhalb des göttlichen Wesens eine solche „Gestalt“ finden, die weder Täuschung noch Lüge wäre? Folglich, so wie Gott aus der Offenbarung Seiner Macht erkannt wird, und wie Seine Werke Zeugnisse Seiner ewigen Gottheit sind (Römer 1.20), so ist Christi Majestät und Herrlichkeit, die Er mit dem Vater gemein hatte, bevor Er sich erniedrigte, ein Zeugnis Seines göttlichen Wesens. Mir wenigstens werden selbst alle Teufel diese Stelle nicht aus den Händen reißen; denn bei Gott darf man mit völliger Sicherheit von der herrlichen Erscheinungsweise auf Sein Wesen schließen; beides hängt untrennbar zusammen.

Christus äußerte sich selbst. – Diese Entäußerung ist dasselbe wie die Erniedrigung, von der wir später handeln werden. Christus konnte Seine göttliche Natur nicht ablegen, aber Er hielt sie für eine Zeit verborgen, damit sie nicht offenbar werde unter der Schwachheit des Fleisches. Er legte Seine Herrlichkeit vor den Augen der Menschen nicht dadurch ab, dass Er sie verringerte, sondern dadurch, dass Er sie verdeckte. Es fragt sich nun, ob Er dieses tat insofern Er Mensch war, oder insofern Er Gott war. Diese Frage ist so zu beantworten: Paulus spricht hier vom ganzen Christus, wie Er Gott ist, geoffenbart im Fleische, obgleich die Entäußerung eigentlich nur von Seiner menschlichen Natur gilt. Das ist dieselbe Redeweise, wie wenn ich von einem Menschen sagen würde: „Weil der Mensch sterblich ist, so ist er sehr beschränkt, da er fast nur an das Irdische denkt“. Dabei meine ich den ganzen Menschen, aber die Sterblichkeit schreibe ich nur einem Teile von ihm zu, nämlich seinem Leibe. Weil daher Christi Person aus zwei Naturen besteht, so sagt Paulus mit Recht, dass der, der Gottes Sohn war und in der Tat Gott gleich, sich Seiner Herrlichkeit entäußert habe, da Er im Fleische sich zeigte in Knechtsgestalt. Zweitens ist die Frage, wie von Ihm gesagt werden kann, dass Er sich entäußert habe, da Er ja immer durch Seine Wunder und durch die Offenbarung Seiner Macht sich als Sohn Gottes erwies, und Johannes von Ihm bezeugt (Johannes 1.14), dass Seine Herrlichkeit immer sichtbar gewesen sei, als die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater. Ich antworte, dass die Niedrigkeit des Fleisches nichtsdestoweniger ein Schleier war, durch den die göttliche Natur verdeckt wurde. Deshalb wollte der Herr auch nicht, dass Seine Verklärung bekannt werde, bevor Er auferstanden wäre. Und als Er innewurde, dass die Stunde Seines Todes herannahte, da sprach Er in Johannes 17.1: Vater, verkläre deinen Sohn. Ebenso lehrt Paulus an einer anderen Stelle (siehe Römer 1.4), dass Christus kräftiglich erwiesen ward als ein Sohn Gottes durch die Auferstehung. Ebenfalls an einer anderen Stelle, dass Er gelitten habe in der Schwachheit des Fleisches (siehe 2. Korinther 13.4). Endlich leuchtete das Bild Gottes so in Christus, dass Er doch verächtlich war nach dem äußeren Anblick und nach der Meinung der Menschen; denn Er trug Knechtsgestalt und hatte in der Weise unsere Natur an sich genommen, dass Er in ihr nicht nur ein Knecht Gottes, sondern auch ein Knecht der Menschen war. Denn Paulus nennt Ihn einen Diener der Beschneidung (Römer 15.8), und Er selbst bezeugt von sich, dass Er gekommen sei, um zu dienen (siehe Matthäus. 20.28). Ja, schon lange zuvor hatte Jesaja von Ihm geweissagt (Jesaja 42.1): Siehe das ist mein Knecht.

Ward gleich wie ein anderer Mensch. – D. h. Er rückte in dieselbe Stellung und in die Reihe der übrigen Menschen, so dass Er sich nach dem äußeren Anschein in nichts über gemeines Menschenlos erhob. Er ward an Gebärden als ein Mensch erfunden, d. h. man konnte Ihn nach Seiner Erscheinung als solchen erkennen. Hatte der Apostel zuvor behauptet, dass Christus wahrhaftiger Gott war und dem Vater wesensgleich, so erinnert er jetzt daran, dass man Ihn für einen verächtlichen und ganz gewöhnlichen Menschen gehalten hat. Dabei muss von neuem bemerkt werden, dass diese Erniedrigung eine freiwillige war.

Und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. – Es ist schon eine große Erniedrigung, wenn jemand sich aus einem Herrn zu einem Knechte macht. Paulus aber sagt, dass Christus noch weiter ging. Er, der nicht nur unsterblich war, sondern auch Herr über Leben und Tod, wurde doch Seinem Vater gehorsam bis zum Tode. Das war die tiefste Erniedrigung, besonders wenn man bedenkt, welches Todes Er gestorben ist! Paulus fügt ja sofort steigernd hinzu: ja zum Tode am Kreuz! Indem Er so starb, ward Christus nicht bloß von den Menschen verachtet, sondern auch ein Fluch vor Gott. Dies Beispiel der Erniedrigung, das Er uns gegeben hat, ist der Art, dass kein Menschengeist es ergründen, viel weniger, dass Worte es nach Würdigkeit beschreiben können.

Darum hat ihn auch Gott erhöht. – Diese tröstliche Wendung soll uns jene Verachtung, vor welcher das menschliche Gefühl zurückscheut, doch höchst begehrenswert erscheinen lassen. Dass mit vollem Rechte die Nachfolge Christi uns zugemutet wird, dürfte nicht leicht jemand abstreiten. Aber das macht uns noch williger zur Nachfolge, wenn wir hören, dass es für uns nichts Besseres gibt, als dass wir uns nach Seinem Bilde gestalten lassen. Christi Beispiel muss uns beweisen, dass wir nur glücklich sein können, wenn wir uns freiwillig mit Ihm erniedrigen. Denn Er ist aus der höchsten Verachtung zur höchsten Ehre erhoben worden. Wer daher sich erniedrigt, wird in ähnlicher Weise erhöht werden. Wer sollte nun die Erniedrigung abweisen, durch die man zur Herrlichkeit des Himmelreichs emporsteigt?

Und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist. – Name steht hier für Würde. Diese Bedeutung hat das Wort „Name“ sehr oft in der Schrift. Paulus will also sagen, dass Christo die höchste Macht gegeben und dass Er zu der höchsten Stufe der Ehre erhoben worden ist, sodass auf Erden keine Würde der Seinigen gleichkommt. Daraus folgt, dass Sein Name ein göttlicher sein muss. Darauf deutet auch die Anspielung an ein Wort des Propheten (Jesaja 45.23), welcher in einem Zusammenhange, der von der künftigen Ausbreitung der Verehrung Gottes über die ganze Erde handelt, Gott folgendermaßen reden lässt: Mir sollen sich alle Knie beugen und alle Zungen schwören. Damit ist doch sicher eine Verehrung gemeint, die Gott allein gebührt.

Sich beugen sollen alle derer Kniee. – Wenngleich auch Menschen auf diese Weise verehrt werden, so ist es doch sicher, dass hier eine Anbetung gemeint ist, die Gott eigentümlich ist. Und das Zeichen dieser Anbetung ist eben das Beugen der Knie. Hierbei ist zu beachten, dass Gott nicht nur durch die innere Herzensgesinnung, sondern auch durch äußeres Bekenntnis zu ehren ist, wenn wir Ihm das geben wollen, was Ihm zukommt. Umgekehrt kann als Erkennungszeichen für die rechten Verehrer Gottes gelten, dass sie ihre Knie vor dem Bilde Baals nicht gebeugt haben (siehe 1. Könige 19.18). – Doch es fragt sich, ob die ganze Aussage von der göttlichen oder von der menschlichen Natur Christi gelten soll, denn in beiden Fällen zeigen sich Schwierigkeiten. Der göttlichen Natur konnte nichts Neues hinzugegeben werden. Der menschlichen Natur dagegen gebührt an und für sich, d. h. losgelöst von der göttlichen Natur, keine solche Erhöhung, dass sie göttliche verehrt werde. So werden wir denn diese und viele ähnliche Aussagen von der ganzen Person Christi zu verstehen haben, sofern Er Gott ist, geoffenbart im Fleische. Denn Er hat sich weder nur nach der menschlichen Natur noch allein nach der göttlichen Natur erniedrigt, sondern Seine Erniedrigung bestand darin, dass Er Seine göttliche Herrlichkeit unter der Schwachheit unseres Fleisches, das Er an sich genommen hatte, verbarg. So hat Gott Seinen Sohn auch wiederum in demselben Fleische, in dem Er verachtet und niedrig hier auf Erden gelebt hatte, zu der höchsten Stufe der Ehren erhoben, sodass Er jetzt zur Rechten Gottes sitzt als der Gottes- und Menschensohn. Aber Paulus scheint sich zu widersprechen, da er in Römer 14.11 dieselbe Stelle anführt (nämlich Jesaja 45.23), um damit zu beweisen, dass Christus einst die Lebendigen und die Toten richten werde. Das scheint aber unangebracht, wenn doch nach der hier vorliegenden Wendung die Aussage schon in der Gegenwart erfüllt wäre. Die Lösung der Schwierigkeit liegt darin, dass Christus sein Königreich jetzt nicht anders besitzt, als dass es von Tag zu Tag wachsen und herrlicher werden muss, wobei doch die Vollendung jetzt noch aussteht und erst mit dem Tage des jüngsten Gerichts eintreten wird. So ist beides zugleich wahr, dass Christo jetzt alles unterworfen ist, und dass diese Unterwerfung erst am Tage des Gerichts ihr Ziel erreicht. Dann wird vollendet, was hier nur begonnen ward. Daher wird diese Weissagung nicht ohne Grund in verschiedener Weise auf verschiedene Zeiten bezogen, da ja alle Weissagungen Christi Reich nicht beschreiben, wie es zu einer bestimmten Zeit sein wird, sondern wie es sich entwickelt im Laufe der Zeit. Übrigens schließen wir aus dieser Stelle, dass Christus jener ewige Gott ist, der durch Jesaja sprach.

Die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind. – Da Paulus Christo alles, vom Himmel bis zur Unterwelt, unterwürfig macht, so nehmen die Papisten in kindischer Weise diese Worte als Beweis für das Fegfeuer. Denn, so sagen sie, auf die Teufel, die vor Christo nicht die Knie beugen, sondern vielmehr sich in jeder Weise wider Ihn auflehnen und andere zur Auflehnung verführen, können doch hier die Worte nicht gehen: die unter der Erde sind. Als ob nicht geschrieben stünde (siehe Jakobus 2.19), dass die Teufel schon erzittern, wenn man nur Gottes Namen nennt! Wie wird es dann erst sein, wenn sie vor Christi Richterstuhl gestellt werden? Natürlich gebe ich zu, dass sie sich nie mit freiwilligem Gehorsam unterwerfen werden. Aber von einem solchen spricht Paulus auch gar nicht mit Notwendigkeit.

Zur Ehre Gottes, des Vaters. – Wie Gottes Majestät den Menschen offenbar geworden ist durch Christus, so leuchtet diese Majestät jetzt in Christo, und der Vater wird verherrlicht im Sohne (vergleiche Johannes 5.23; 17.1 ff.).