GALATER

Galater Kapitel 4 Teil IV

Galater 4.21-26

Saget mir, die ihr unter dem Gesetz sein wollt, habt ihr das Gesetz nicht gehört? Denn es steht geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd, den anderen von der Freien. Aber der von der Magd war, ist nach dem Fleisch geboren; der aber von der Freien ist durch die Verheißung geboren. Die Worte bedeuten etwas. Denn das sind die zwei Bundesordnungen: eine von dem Berge Sinai, die zur Knechtschaft gebiert, welche ist die Hagar; denn Hagar heißt in Arabien der Berg Sinai, und kommt überein mit Jerusalem, das zu dieser Zeit ist, und ist dienstbar mit seinen Kindern. Aber das Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie; die ist unser aller Mutter.

 

Auf die letzte persönliche Zusprache, welche die Gewissen treffen sollte, folgt nun eine anschauliche und schöne Erläuterung der zuvor dargelegten Lehre. Sicherlich wäre dieses Beweisstück an und für sich nicht probehaltig; aber als bestätigende Zugabe zu den früher entwickelten Gründen ist es nicht zu verachten. Unter dem Gesetz sein heißt hier: Sich unter das Joch des Gesetzes beugen und mit Gott unter gesetzlichen Bedingungen handeln, sodass wir uns peinlich an das Gesetz halten, zugleich aber Gott verpflichten wollen, uns dafür den versprochenen Lohn zu zahlen. Irgendwie sind ja alle Gläubigen unter dem Gesetze; hier aber handelt es sich um die besondere Eigenart des gesetzlichen Verkehrs mit Gott.

Denn es steht geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd, den anderen von der Freien. – Niemand ist so unvernünftig, dass er, wenn er die Wahl hat, die Freiheit verachtet und die Knechtschaft vorzieht. Nun sind aber nach des Apostels Lehre alle, die unter dem Gesetze stehen, Sklaven. Wie elend ist es nun, sich freiwillig in eine solche Lage zu begeben, von welcher Gott uns doch frei haben will! Ein Abbild davon stellt uns Paulus an den beiden Abrahamssöhnen vor Augen, deren einer als Sohn der Magd in Knechtesstand hineingeboren ward, während nur dem freien Sohn der freien Gattin das Erbe zufiel. Dieser Tatbestand wird dann höchst feinsinnig für den vorliegenden Zweck ausgedeutet. So wendet Paulus die Waffe des Gesetzes, mit welcher man ihn angriff, auf die Gegner zurück. Unter Gesetz versteht er dabei, wie öfters, die fünf Bücher Mose. Die dort erzählte Geschichte, die zunächst gar keinen Bezug auf das vorliegende Thema zu haben schien, empfängt nun eine allegorische Deutung: Die Worte bedeuten etwas (siehe Vers 24). Natürlich soll uns solche vereinzelte Allegorie nicht dazu verleiten, Gottes heiliges Wort überall willkürlich umzudeuten. Sicherlich ist die Schrift ein überreicher und unausschöpflicher Quell aller Weisheit; aber der Reichtum besteht nicht darin, dass jedermann hier einen Sinn finden kann, welchen er will. Der wirkliche Sinn der Schrift ist immer einfach und ungekünstelt; ihn gilt es festzuhalten – erdichtete Auslegungen, die vom buchstäblichen Sinn abführen, sind verwerflich und verderblich. Doch was sollen wir zu des Apostels Worten sagen? Die Deutung von Vorgängen in Abrahams Familie auf die Kirche Christi ist doch keine willkürliche Spielerei: Hier, wie auch in den Opfern und dem ganzen levitischen Gottesdienst, lagen ja nach Gottes Absicht wirkliche Vorbilder. Auf diesem tatsächlichen Hintergrunde kann Paulus in den beiden Weibern Abrahams und den von ihnen stammenden Völkern die beiden Bundesordnungen Gottes anschaulich dargestellt finden.

Aber der von der Magd war, ist nach dem Fleisch geboren. – In äußerlichem Sinne galt dies selbstverständlich auch von Isaak; aber seine Geburt hatte doch noch etwas Besonderes, da sie auf göttlicher Verheißung ruhte. Bei jenem wirkte nichts als die Natur, bei Isaak dagegen die göttliche Erwählung. So zeigte es sich schon bei der Zeugung Isaaks, welche ohne Gottes Wunderwirken gar nicht zu denken ist. So liegt denn in diesem Worte sicher ein versteckter Hinweis auf die Berufung der Heiden und die Verwerfung Israels: Rühmt sich Israel der fleischlichen Herkunft, so werden vielmehr die Heiden durch den Glauben, über alle Menschenkraft hinaus, Abrahams geistliche Nachkommenschaft.

Denn das sind die zwei Bundesordnungen. – Wie in Abrahams Hause, so gibt es auch in der Kirche Gottes zwei Mütter, nämlich die doppelte Lehre, die gesetzliche und die evangelische, aus welcher dem Herrn Kinder geboren werden. Die gesetzliche Lehre, welche der Hagar gleicht, gebiert ihre Kinder in Knechtesstand hinein. Sara dagegen gleicht der Lehre, deren Kinder in die Freiheit geboren werden. Sollte sich aber jemand wundern, wie wirkliche Gotteskinder überhaupt in den Knechtesstand hineingeboren werden können, der möge daran denken, dass ja in der Tat das alttestamentliche Gesetz die heiligen Propheten und alle übrigen Gläubigen, obwohl sie Kinder Gottes waren, in Knechtschaft hineingebar, unter welcher sie während gewisser Zeit erzogen werden sollten. So war ihre innere Freiheit unter der Hülle von Zeremonien und der ganzen alttestamentlichen Ordnungen verborgen, so dass (Römer 8.15) von einem knechtischen Geiste die Rede sein kann. Übrigens wird Paulus gar nicht gewillt gewesen sein, die Leute, welche zu seiner Zeit unter den Sinai-Bund zurückkehren wollten, als wirkliche Gotteskinder gelten zu lassen; sie waren nur Heuchler und Bastarde; sie gebrauchten das Gesetz nicht, wie es gebraucht sein wollte, nämlich zur Erziehung für Christus, sondern ließen es sich nur zum Hindernis werden, zu Christus zu kommen; sie werden darum schließlich aus Gottes Gemeinde ausgetilgt werden (siehe Vers 30).

Denn Hagar heißt in Arabien der Berg Sinai. – Allerlei törichte Auslegungen, welche ein Spiel mit den Namen treiben, die angeblich zusammenstimmen sollen, lassen wir bei Seite. Hager war einfach in dem Sinne der Berg, dass sie ihn bildlich oder „typisch“ darstellte – genauso wie Christus durch das Passahlamm dargestellt ward. Mit Verachtung weist der Apostel dabei auf die Lage des Berges hin: In Arabien liegt er, also außerhalb der Grenzen des heiligen Landes, welches ein Sinnbild des ewigen Erbes ist.

Und kommt überein. – Das heißt: Hat eine innere Ähnlichkeit mit Jerusalem, und zwar mit dem Jerusalem, wie es zu dieser Zeit ist, entartet und in Lehre und Kultus zur Knechtschaft herabgesunken. Hätte doch das irdische Jerusalem eigentlich ein lebendiges Abbild des himmlischen sein und sich mit dessen Geist erfüllt zeigen sollen. Stattdessen wird es ganz und gar dem Sinai ähnlich! Einen schwereren Vorwurf gegen die Juden kann man kaum erheben. Sie sind aus der Gnade gefallen, ihre Mutter ist nicht mehr Sara, sondern das ehebrecherische Jerusalem, die Zwillingsschwester der Hagar! Sie sind Knechte, von der Magd geboren, obgleich sie sich stolz Abrahams Kinder nennen!

Aber das Jerusalem, das droben ist. – „Droben“ ist unsere Mutter, das heißt die christliche Gemeinde, nicht weil sie etwa im Himmel eingeschlossen und außerhalb der Welt zu suchen wäre. Denn die Kirche ist über den ganzen Erdkreis verbreitet und wohnt auf der Erde. Warum also soll sie vom Himmel sein? Weil sie ihren Ursprung in der himmlischen Gnade hat. Denn nicht aus Fleisch und Blut werden die Kinder Gottes geboren, sondern durch die Kraft des Heiligen Geistes. Das Jerusalem, das droben ist, das seinen Ursprung im Himmel hat und durch den Glauben droben wohnt, das ist die Mutter der Gläubigen. Denn es birgt den unzerstörbaren Samen des Lebens, mit welchem es uns bildet, im Mutterleibe nährt und das Licht bringt. Eben dasselbe hat Milch und Speise, womit es die Erzeugten für immer ernährt. Nun verstehen wir, weshalb die Kirche die Mutter der Gläubigen heiße. Wer ein Sohn dieser Gemeinde zu sein sich weigert, der wird vergebens Gott seinen Vater nennen. Denn nur durch den Dienst der Kirche zeugt sich Gott Söhne und zieht sie auf, bis sie heranwachsen und zum männlichen Alter gelangen. Ein herrliches und rühmendes Lob der Kirche. Freilich die Papisten, welche sich dasselbe am nachdrücklichsten aneignen möchten, dürfen es nicht auf sich beziehen; denn ihre Mutter gehört ganz ebenso mit der Hagar zusammen, wie einst Jerusalem zu des Apostels Zeiten.