Galater Kapitel 2 Teil IV

Galater 2.17-21

Wenn aber wir, die da suchen durch Christus gerecht zu werden, auch selbst Sünder erfunden werden, so wäre Christus ein Sündendiener? Das sei ferne! Wenn ich aber das, so ich zerbrochen habe, wiederum baue, so mache ich mich selbst zu einem Übertreter. Ich bin aber durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, auf dass ich Gott lebe; ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe aber doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich in dem Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebt hat, und sich selbst für mich dargegeben. Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn so durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.

 

Wir, die da suchen durch Christus gerecht zu werden. – Die an Petrus gerichteten Worte sind nun zu Ende, und Paulus wendet sich wieder an die Galater. Denn die folgenden Bemerkungen hätten dem Petrus gegenüber keinen rechten Zweck. Da übrigens für die Sache selbst wenig darauf ankommt, so habe ich auch nichts dagegen, wenn jemand hier noch eine Fortsetzung der Rede an Petrus fände. Wichtiger ist ein anderer Punkt: Manche Ausleger lesen nämlich unseren Satz nicht als Frage, sondern als positive Aussage, und zwar in folgendem Sinne: Wenn wir, die wir Gerechtigkeit in Christo suchen, nicht völlig gerecht, sondern noch unrein sind, sodass Christus uns nicht zur Gerechtigkeit genügt, so folgt, dass Christus uns eine Lehre zudient, welche den Menschen in der Sünde stecken lässt. Diesen frevelhaften Satz würde dann Paulus den Leuten als notwendige Folgerung zuschieben, welche noch ein Stück der Gerechtigkeit nicht in Christo, sondern nur im Gesetz finden zu können meinen. Weil aber die anschließenden Worte „das sei ferne!“ bei Paulus immer und überall nur auf eine vorhergehende Frage in einem entschieden abweisenden Sinne antworten (zum Beispiel Galater 3.21; Römer 3.5 & 6; Römer 9.14), so halte ich auch diesen Vers für eine Frage und für bestimmt, die absurde Folgerung zurückzuweisen, welche sich zu ergeben schien. Nach seiner Weise legt Paulus gewissermaßen den Gegnern eine Frage in den Mund: Wenn die Glaubensgerechtigkeit dieses bewirkt, dass sogar wir Juden als schuldig und besudelt angesehen werden, obwohl wir von Mutterleib an geheiligt sind, können wir dann nicht sagen, dass Christus der Urheber der Sünde ist, weil Er ja die Macht der Sünde sich in den Seinen entwickeln lässt? Ein solcher Zweifel konnte wohl aufsteigen, wenn es doch hieß, dass Juden, die an Christum gläubig wurden, der Gerechtigkeit des Gesetzes den Rücken kehrten. Denn das Judentum ohne Christus, aber geschieden von der gemeinen Verunreinigung mit den Heiden, schien doch seine Glieder gewissermaßen als aus der Reihe der Sünder ausgeschieden hinzustellen. Die Gnade Christi aber stellt Juden und Heiden auf gleiche Stufe: Haben beide das gleiche Heilmittel nötig, so muss ja wohl auch die Krankheit die gleiche sein. Dies liegt in der Wendung „auch selbst wir werden als Sünder erfunden“, das heißt selbst so bevorzugte Leute, wie die Juden waren. Solchen Gedanken aber gilt es zurückzuweisen: Das sei ferne! Denn Christus ist kein Sündendiener in dem Sinne, dass Er vorhandener Sünde freie Bewegung gewährt, indem Er uns von einem gerechten Leben geringer denken lehrt, noch gar in dem Sinne, dass Er geradezu ein Reich der Sünde aufrichten wollte. Der Irrtum der Juden lag darin, dass sie sich außer Christus in einer Heiligkeit bespiegelten, die doch keine war. Daher denn die Frage: Ist denn Christus dazu gekommen, um uns die Gerechtigkeit des Gesetzes zu nehmen, aus Heiligen Besudelte zu machen und uns der Sünde und der Schuld zu unterwerfen? Nein, sagt Paulus mit Entschiedenheit: So ist es nicht; weg mit dieser Gotteslästerung! Christus brachte die Sünde nicht, sondern machte sie nur offenbar; Er nahm den Juden nicht eine wirkliche Gerechtigkeit, sondern zog ihnen nur die falsche Maske vom Gesicht.

Wenn ich aber das, so ich zerbrochen habe. – Paulus gibt eine doppelte Antwort. Zunächst eine indirekte, indem er darauf hinweist, dass die abgelehnte Folgerung seiner ganzen Predigt ins Gesicht schlagen würde. Hatte er doch den Glauben an Christum immer so gepredigt, dass der Zusammenbruch und das Sterben der Sünde damit in unlöslichem Zusammenhang stand. Wie Johannes sagt, dass Christus nicht gekommen ist, das Reich der Sünde aufzurichten, sondern die Werke des Teufels zu zerstören (1. Johannes 3.8); ebenso bezeugt Paulus hier, dass die Predigt des Evangeliums die wahre Gerechtigkeit wiederhergestellt habe, damit die Sünde vernichtet würde. Also darf man unmöglich in einem Atemzuge sagen, dass derselbe Christus die Sünde aus dem Wege geräumt und zugleich wieder aufgerichtet habe. So wird der verleumderische Vorwurf der Lächerlichkeit preisgegeben und damit abgetan.

Ich bin aber durchs Gesetz dem Gesetz gestorben. – Jetzt erst folgt die direkte Antwort: Was das eigenste Werk des Gesetzes ist, darf man nicht Christo aufbürden. Christus brauchte ja auch nicht erst zu kommen, um die Gerechtigkeit des Gesetzes klein zu machen; denn das Gesetz tötet seine eigenen Jünger. Paulus will zu verstehen geben: Ihr betrügt die bejammernswerten Menschen durch die Wahnvorstellung, als ob sie aus der Quelle des Gesetzes Leben schöpfen müssten, und unter diesem Vorwand haltet ihr sie im Gesetz fest. Mittlerweile setzt ihr das Evangelium der Missgunst aus, als ob es die Gerechtigkeit, die wir aus dem Gesetz haben, zunichtemache. Gleichwohl aber ist es das Gesetz selber, das uns zwingt ihm zu sterben; denn es kündigt uns Verderben an, treibt uns also zur Verzweiflung und raubt uns damit alles Vertrauen auf seine Kraft. Das Verständnis dieser Stelle wird leichter durch einen Blick auf den Anfang von Römer 7: Dort beschreibt Paulus so schön, dass der Mensch nur so lange dem Gesetze lebt, als das Gesetz für ihn noch tot, das heißt untätig und ohne Wirkung, ist. Denn sobald das Gesetz in uns zu leben beginnt, schlägt es uns eine todbringende Wunde, haucht aber der vorher toten Sünde Leben ein. Darum haben diejenigen, welche noch dem Gesetze leben, niemals die Kraft des Gesetzes gefühlt, ja nicht einmal geschmeckt, was es eigentlich will; denn wenn wir das Gesetz recht verstehen, so zwingt es und, ihm zu sterben. Also daher stammt die Sünde, nicht von Christo. – Dem Gesetz sterben heißt, ihm entsagen und von seiner Herrschaft so frei werden, dass man kein Vertrauen mehr darauf setzt, noch unter dem Joch seiner Knechtschaft sich gefangen halten lässt.

Auf dass ich Gott lebe. – Wenn wir dem Gesetze sterben, so fangen wir darum nicht an, der Sünde zu leben, sondern dem Herrn. „Gott leben“ hat nun bisweilen die Bedeutung: Unser Leben nach Seinem Willen einzurichten, so dass wir nichts anderes mehr begehren als Ihm wohlzugefallen. Hier aber bedeutet es sozusagen, das Leben Gottes leben. Erst bei diesem Verständnis treffen die Gegensätze aufeinander. Denn selbstverständlich sind die beiden Ausdrücke „dem Gesetz sterben“ und „Gott leben“ gegensätzlich aufeinander angelegt. Kurz, Paulus weist darauf hin, dass jener Tod nicht tötet, sondern vielmehr der Grund zu einem besseren Leben ist; Gott birgt uns aus dem Schiffbruch des Gesetzes, und Seine Gnade versetzt uns in ein anderes Leben. – Sagt nun Paulus weiter: Ich bin mit Christo gekreuzigt, so beschreibt er damit die Art und Weise, wie wir als dem Gesetz Gestorbene dem Herrn leben sollen: Indem wir nämlich, als in den Tod Christi eingepflanzt, von daher eine geheime Kraft schöpfen, wie das Pfropfreis aus der Wurzel. Ferner hat Christus die Handschrift des Gesetzes, so wider uns war, an Sein Kreuz geheftet (Kolosser 2.14), so dass wir nun als mit Ihm Gekreuzigte von aller Vermaledeiung und Schuld des Gesetzes befreit werden, wie andererseits derjenige das Kreuz Christi seiner Kraft beraubt, welcher diese Befreiung wirkungslos zu machen unternimmt. So wollen wir uns denn tief einprägen, dass wir nicht anders vom Gesetzesjoch loskommen können als durch Eins-werden mit Christus, ebenso wie das Pfropfreis nur durch völliges In-eins-wachsen von der Wurzel den Saft zugeführt erhält.

Ich lebe aber doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. – Das Wort Tod ist dem Sinn des Menschen immer zuwider. Darum lässt Paulus, nachdem er uns darauf hingewiesen hat, dass wir zugleich mit Christo ans Kreuz geheftet sind, gleich mit einfließen, dass auch dieses für uns Leben bringt, und erläutert zugleich, was er vorher unter den Worten „Gott leben“ verstanden hat: Er lebt nämlich selbst jetzt nicht mehr sein eigenes Leben, sondern wird durch Christi geheime Lebenskraft beseelt, so dass man sagen kann, dass Christus in ihm lebendig und kräftig ist. Denn wie die Seele den Körper durchströmt, so haucht auch Christus seinen Gliedern Leben ein. Welch großartiger Gedanke: Die Gläubigen haben ein Leben außerhalb ihrer selbst, nämlich in Christus! Das ist aber nur dadurch möglich, dass sie in wahrer und wesenhafter Verbindung mit Ihm stehen. – Nun lebt Christus auf eine doppelte Weise in uns: Einmal regiert Er uns mit Seinem Geist und leitet alle unsere Handlungen; das andere Leben besteht darin, dass Er uns einen Anteil an Seiner Gerechtigkeit schenkt, so dass wir, was wir aus uns selbst nicht vermögen, in Ihm vor Gott angenehm sind. Das erste ist das Leben der Wiedergeburt, das zweite das Leben in der freien Gnade, die uns als gerecht annimmt. Von diesem letzteren Leben scheint mir nun hier die Rede zu sein; doch erhebe ich keinen Widerspruch, wenn jemand zugleich an das erstere denken will.

Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich in dem Glauben des Sohnes Gottes. – „Im Fleische“ lebt, wer überhaupt noch ein irdisches Leben zu führen hat. Und es lag ja die Frage nahe: Wie kann von einem himmlischen Leben Christi in einem Menschen die Rede sein, der noch in seinem vergänglichen Leibe steckt, essen und trinken muss usw.? Es ist doch wunderlich, davon zu reden, dass man kein eigenes Leben mehr führt – und lebt doch offensichtlich wie jeder andere Mensch. Wenn nun Paulus erwidert, dass jenes himmlische Leben im Glauben besteht, so gibt er damit zu verstehen, dass dasselbe freilich ein für menschliche Sinne verborgenes Geheimnis ist. Das durch den Glauben empfangene Leben wird vor den Augen nicht offenbar, man spürt es nur innerlich im Herzen durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes, so dass das leibliche Leben kein Hindernis für den Besitz des himmlischen Lebens im Glauben ist. Vergleiche Epheser 2.6: Gott hat uns in das himmlische Wesen gesetzt; Epheser 2.19: Ihr seid nun Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen; Philipper 3.20: Unser Wandel ist im Himmel. Überhaupt sind die Schriften des Apostels voll von derartigen Zeugnissen: Wir leben dergestalt in der Welt, dass wir auch im Himmel leben; erstens, weil dort unser Haupt ist, und zweitens, weil wir nach dem Recht der Vereinigung unser Leben in Gemeinsamkeit mit Ihm führen (vergleiche auch Johannes 14.3).

Die Worte der mich geliebt hat sind hinzugefügt, um die Kraft des Glaubens hervorzuheben; sonst käme sofort jedem der Gedanke in den Sinn: Woher kommt diese große Kraft des Glaubens, dass sich das Leben Christi durch Ihn in uns ergießt? Darum erklärt Paulus die Liebe und den Tod Christi für das Fundament, auf welches sich der Glaube stützt; denn nur daraus lässt sich die Wirkung des Glaubens recht erklären. Wie geschieht es nun, dass wir durch den Glauben an Christus leben? Weil Er uns geliebt hat und Sich selbst für uns dargegeben hat. Ja, die Liebe, mit der uns Christus empfangen hat, war die Ursache, dass Er sich mit uns verband. Diese Vereinigung erreichte ihr Ziel in Seinem Tode; denn indem Christus sich für uns dar gab, litt Er an unserer statt. Was also der Glaube in Christus findet, das macht er zu unserem persönlichen Besitz. Was Paulus hier von der Liebe sagt, stimmt völlig mit 1. Johannes 4.10 & 19: Darinnen steht die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns zuerst geliebt hat. Denn wenn Ihn irgendein Verdienst unsererseits zu unserer Erlösung angespornt hätte, so würde man das als die Ursache ansehen, während Paulus doch alles der Liebe zuschreibt, die unverdient und frei ist. Wir müssen noch einen Blick auf die Reihenfolge werfen: Erst Liebe zu uns, dann Hingabe für uns; darin liegt, dass Christus keinen anderen Grund zum Sterben hatte als die Liebe zu uns, und das obendrein zu einer Zeit, da wir noch Seine Feinde waren (vergleiche Römer 5.10).

Sich selbst für mich dargegeben. – Keine Worte können die Größe dieser Wohltat recht ausdrücken. Denn wer kann mit menschlicher Rede die Höhe und Vorzüglichkeit des Sohnes Gottes schildern? Und dieser ist es, der Sich selbst als Lösegeld zu unserer Erlösung bestimmt hat! Das Wort „dargegeben“ enthält die ganze Frucht, welche uns aus dem Tode Christi als dem Opfer der Versöhnung, Abwaschung, Genugtuung usw. zuwächst. Weiter haben die Worte für mich einen eigenen Nachdruck: Ist Christus für das Heil einer ganzen Welt gestorben, so wird uns dies so lange noch nicht helfen, als nicht ein jeder für seine Person die Wirkung und den Besitz dieser Gnade sich zueignen kann.

Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes. – Auch auf diesem Worte liegt ein besonderer Nachdruck, denn was für eine furchtbare Undankbarkeit wäre es, diese so unschätzbare und mit einem so teuren Lösegeld erworbene Gnade Gottes zu verachten! Solche Ruchlosigkeit wirft aber Paulus den falschen Aposteln vor, weil sie, nicht zufrieden mit Christus allein, noch andere Hilfsmittel des Heils einschmuggelten. Es ist doch eine Verwerfung der Gnade Gottes, wenn man nicht auf alles andere verzichtet und Christus allein annimmt. Was bleibt aber einem Menschen übrig, wenn er die Gnade Gottes zurückgestoßen und sich so derselben unwürdig gemacht hat?

Denn so durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben. – „Vergeblich“ (wörtlich: geschenkweise, umsonst) besagt: Das Sterben wäre für Christus gar nicht der Mühe wert gewesen, weil Ihm kein Preis für Seinen Tod geworden wäre. Nun besteht aber der Lohn für Seinen Tod darin, dass Er uns durch die Sühnung unserer Sünden mit dem Vater versöhnte; woraus weiter folgt, dass wir durch Seine Gnade, also nicht durch Werke, gerechtfertigt werden. Man hat auch diese Stelle von dem Zeremonialgesetz allein verstehen wollen, aber es liegt auf der Hand, dass sie sich auf das ganze Gesetz erstreckt. Paulus sagt also: Wenn wir selber die Gerechtigkeit verdienen, dann hat Christus vergeblich gelitten; denn Sein Leiden hatte doch nur den Zweck, uns Gerechtigkeit zu erwerben – und es wäre völlig überflüssig gewesen, wenn wir uns die Gerechtigkeit selbst verschaffen könnten. Ist aber Christi Tod unsere Erlösung, so waren wir Gefangene; ist Er unsere Genugtuung, so waren wir Schuldner; ist Er unsere Sühne, so waren wir Angeklagte; ist Er unsere Abwaschung, so waren wir unrein! Wenn nun jemand seine Reinheit – wir beginnen mit dem Letztgenannten – seine Lossprechung, Sühnung, Gerechtigkeit und Befreiung den Werken zuschreibt, so macht er den Tod Christi unnütz. Diese ganze Beweisführung richtet sich übrigens gegen Leute, die, wie in unseren Zeiten die Römischen, die Gnade Christi nicht geradezu verleugnen, sondern nur durch ihre eigenen Werke ergänzen wollen. Dergleichen ist nach Pauli Ansicht aber ein vergebliches Unternehmen, weil vor Gott nicht eine eingebildete Gerechtigkeit gilt, mit welcher Menschen sich zufrieden geben mögen, sondern nur eine ganz vollkommene. Sagt nun der Apostel, dass Christus vergeblich starb, wenn unsere Gerechtigkeit aus dem Gesetz kommt, so erkennt er in unseren eigenen Werken eben keine Spur von wahrer Gerechtigkeit an.