GALATER

Galater Kapitel 2 Teil III

Galater 2.11-16

Da aber Petrus gen Antiochien kam, widerstand ich ihm unter Augen: denn er hatte eine Zurechtweisung verdient. Denn zuvor, ehe etliche von Jakobus kamen, aß er mit den Heiden; da sie aber kamen, entzog er sich und sonderte sich, darum dass er die von der Beschneidung fürchtete. Und heuchelten mit ihm die anderen Juden, also dass auch Barnabas verführet ward, mit ihnen zu heucheln. Aber da ich sah, dass sie nicht richtig wandelten nach der Wahrheit des Evangeliums, sprach ich zu Petrus vor allen öffentlich: So du, der du ein Jude bist, heidnisch lebest und nicht jüdisch, warum zwingst Du die Heiden jüdisch zu leben? Wir sind von Natur Juden und nicht Sünder aus den Heiden; doch weil wir wissen, dass der Mensch durch des Gesetzes Werke nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, so glauben wir auch an Christus Jesus, auf dass wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch des Gesetzes Werke; denn durch des Gesetzes Werke wird kein Fleisch gerecht.

 

Da aber Petrus gen Antiochien kam. – Wer alle Umstände besonnen erwägt, wird mir hoffentlich darin beistimmen, dass das hier Berichtete geschehen ist, ehe die Apostel sich für die Befreiung der Heiden vom Zeremonialgesetz öffentlich ausgesprochen hatten. Denn Petrus hätte bei Jakobus oder dessen Abgesandten keinen Anstoß mehr zu fürchten brauchen, wenn schon jene Bestimmung vorgelegen hätte, die ja auf eine Aussprache des Jakobus selbst gegründet war. – Die ganze Darlegung führt uns auf die Höhe des apostolischen Selbstbewusstseins. Hatte Paulus zuerst nur gesagt, dass die Gewissheit seines Evangeliums von Petrus und den übrigen Aposteln unabhängig sei und keinesfalls nach deren Urteil stehe oder falle (Galater 1.11-24); hatte er dann von seiner einstimmigen und widerspruchslosen Anerkennung namentlich durch die Säulen der Christenheit berichten können (Galater 2.1-10), so geht er jetzt noch einen Schritt weiter: Er durfte sogar dem Petrus, der auf die entgegengesetzte Seite neigte, einen Tadel aussprechen, hat somit sein Evangelium gegenüber der Heuchelei desselben siegreich behauptet. Der Bericht über dies Ereignis führt uns zugleich tiefer in den Inhalt des paulinischen Evangeliums ein. Bei diesem Anlass trat die apostolische Würde des Paulus in ein helles Licht; denn er tadelte den Petrus nicht einfach, wie ein Christ dem anderen Vorhaltungen machen darf, sondern redete kraft seines apostolischen Amtes. Nebenbei haben wir hier einen entscheidenden Beweis gegen die unverschämte Erhebung des römischen Papstes über die ganze Kirche. Hier hat doch Paulus nicht in vorschneller Anmaßung, sondern kraft göttlicher Vollmacht den Petrus vor der ganzen Gemeinde zurechtweisen dürfen – und dieser hat sich in aller Demut gefügt!

Denn er hatte eine Zurechtweisung verdient. – Rücksichtslos ist Paulus dem Petrus unter Augen, und zwar Angesichts der ganzen Gemeinde (Vers 14) entgegengetreten; denn die evangelische Freiheit stand in Gefahr, und der Gnade Christi drohte Verkennung. Immerhin ließe sich sagen, worin denn eigentlich der Fehler und die Heuchelei des Petrus bestand, wenn doch auch Paulus selbst sich dessen rühmt, dass er den Juden ein Jude ward (1. Korinther 9.20). Der Unterschied war aber der, dass Paulus die christliche Freiheit unangetastet ließ, deshalb auch in die Beschneidung des Titus nicht willigte, um die Wahrheit des Evangeliums zu retten, während Petrus in einer Weise den Juden nachgab, die eigentlich Gesetzeszwang für die Heiden und einen Gegensatz gegen die Lehre des Paulus bedeutete. Petrus überschritt das erlaubte Maß und übte sein Entgegenkommen mehr aus Menschengefälligkeit und Rücksicht auf ein paar Juden als mit dem Blick auf die Erbauung der ganzen großen Gemeinde.

Denn zuvor, ehe etliche von Jakobus kamen. – Hier wird der Stand der Sache beschrieben, dass nämlich Petrus, um die Gunst der Juden zu behalten, sich den Heiden entzog, sodass sich dieselben von der christlichen Gemeinschaft ausgeschlossen sahen, falls sie nicht der Freiheit des Evangeliums entsagen und das Joch des Gesetzes auf sich nehmen wollten. Hätte Paulus hier geschwiegen, so fiel seine gesamte Lehre zusammen, und der ganze durch sein Amt hergestellte Bau stürzte hin. Daher hielt er heftigen Widerstand für nötig. Wir sehen hier, wie vorsichtig wir unsere Folgsamkeit gegen Menschen abzumessen haben, damit wir nicht aus maßloser Gefallsucht oder aus verkehrter Furcht, andere zu beleidigen, vom rechten Lauf abbiegen. Konnte das bei einem Petrus vorkommen, wie viel leichter bei uns, wenn wir nicht emsig auf der Hut sind!

Aber da ich sah, dass sie nicht richtig wandelten. – Dies bezieht sich auf Petrus, Barnabas und ihre Anhänger. Es hieß recht in die Wahrheit des Evangeliums eindringen, wenn man die Vereinigung der Heiden mit den Juden unter Bewahrung der reinen Lehre anstrebte. Aber dass die Gewissen der Frommen zur Beobachtung des Gesetzes verpflichtet wurden und man auf diese Weise der Lehre von der Freiheit ein stilles Begräbnis bereitete – einen solchen Preis war die Einheit nicht wert. Von der Wahrheit des Evangeliums spricht Paulus hier im gleichen Sinn wie schon früher (Galater 2.5): Den Gegensatz dazu bildet die Unklarheit, mit welcher Petrus und die andern das wirkliche Evangelium verdunkelten. Das gab für Paulus einen ernsten Kampf. Mochten auch beide Teile in der Lehre selbst zusammenstimmen, so muss doch Petrus sich die Anklage auf Heuchelei gefallen lassen, weil er sich tatsächlich um die Lehre und erkannte Wahrheit nicht kümmerte und in knechtischem Gehorsam sich den Juden unterwarf. Dass er als Apostel der Beschneidung auf das Volk der Beschneidung besondere Rücksicht nehmen musste, entschuldigt ihn nicht. Vielmehr hat Paulus ganz Recht, wenn er hier, wo es sich um Gottes Sache handelt, die Reinheit des Evangeliums vor der Berührung mit jüdischem Sauerteig nachdrücklich bewahrt.

Zu Petrus vor allen öffentlich. – Dies Beispiel mahnt zur öffentlichen Zurechtweisung derer, die öffentlich gefehlt haben, soweit eine solche zum wahren Besten der Gemeinde dient. Der Zweck dabei muss sein, dass nicht die Sünde, wenn sie ungestraft bleibt, ansteckend wirke. Und Paulus zeigt anderwärts, wie dies namentlich bei Presbytern (1. Timotheus 5.20) beobachtet werden muss, da bei ihrer Stellung ein schlechtes Beispiel umso mehr schadet. Besonders aber war die öffentliche Verteidigung der guten, alle angehenden Sache deshalb nützlich, weil Paulus dadurch umso besser bezeugte, dass er das Licht nicht zu scheuen brauchte.

So du, der du ein Jude bist. – Die Rede des Paulus an Petrus besteht aus zwei Stücken. Das erste tadelt den Petrus, dass er ungerecht gegen die Heiden verfährt, wenn er sie zur Beobachtung des Gesetzes zwingt, von dem er selbst frei sein will. Denn abgesehen davon, dass jeder das Gesetz halten muss, welches er andern vorschreibt, fehlte er darin noch schlimmer, dass er die Heiden zum Judentum nötigte, während er selbst als Jude sich Freiheit vorbehielt. Denn den Juden, nicht den Heiden ist das Gesetz gegeben. Dazu war es ein ziemlich harter und heftiger Zwang, dass er den Heiden die Gemeinschaft kündigte, wenn sie nicht das Joch des Gesetzes auf sich nehmen wollten. Das war eine ungerechte Bedingung der Gemeinschaft. Die ganze Kraft des Tadels beruht in diesem Worte. Denn der Gebrauch der Zeremonien zur Erbauung war freigegeben, nur sollten die Gläubigen nicht ihrer Freiheit beraubt noch ihnen ein Zwang auferlegt werden, von dem sie das Evangelium losgekauft hat.

Wir sind von Natur Juden. – Jetzt beginnt der zweite Teil der Rede, und zwar zunächst mit einem willigen Eingeständnis des Vorzugs, dessen die Juden sich rühmen konnten: Im Unterschiede von der unheiligen und unreinen Heidenwelt hatte sie Gott zu Seinem Volke gemacht. Mit großem Geschick braucht aber Paulus diesen Vorzug als Waffe wider seine Gegner. Denn wenn die Juden selbst mit allem, dessen sie sich rühmen konnten, gezwungen waren, zum Glauben an Christus ihre Zuflucht zu nehmen, wie viel mehr musste es bei den Heiden der Glaube sein, durch den allein sie das Heil gewinnen konnten! Pauli Meinung ist also die: Wir, die wir dem Anschein nach vorzüglicher sind als die anderen, die wir durch die Wohltat des Bundes Gott immer nahe gestanden haben, haben doch keinen anderen Weg zum Heil gefunden an den des Glaubens an Christus – warum sollten wir nun den Heiden einen anderen vorschreiben? Denn wenn das Gesetz nötig wäre oder seinen Tätern zur Seligkeit nützte, so würde es uns am meisten nützen, denen es gegeben worden ist. Haben wir nun aber das Gesetz aufgegeben und sind zu Christus gekommen, so darf man dies Gesetz viel weniger den Heiden auferlegen. – Das Wort Sünder bezeichnet hier wie oft anderwärts den verlorenen und Gott entfremdeten Menschen. Solche waren die Heiden, die mit Gott gar keine Gemeinschaft hatten. Die Juden aber waren zu Gottes Kindern angenommen und gelten darum für heilig. Von Natur soll nicht heißen, dass die Juden ihrer Natur nach von dem Verderben der Menschen frei wären, wie denn David, ein Nachkommen Abrahams, von seiner Geburt in sündlichem Wesen spricht (Psalm 51.7). Aber über das natürliche Verderben, an dem auch Israel teilhatte, war das Heilmittel der heiligenden Gnade gekommen. Weil nun die Verheißung einen Erbsegen enthielt, darum wird dieses Gut „natürlich“ genannt. So heißt es auch im Römerbrief (11.16), dass die Juden einer heiligen Wurzel entsprossen sind. Wir sind von Natur Juden, heißt also: Wir werden als Heilige geboren, zwar nicht durch eigenes Verdienst, sondern weil uns Gott zu Seinem Volk erwählt hat. Wir also, von Natur Juden, haben an Christus Glauben gelernt. Und weshalb? Um durch den Glauben gerechtfertigt zu werden; weil wir überzeugt waren, dass die Menschen die Gerechtigkeit durch die Werke des Gesetzes nicht erlangen können. Aus der Art und Wirkung des Glaubens zieht also Paulus den Schluss, dass das Gesetz den Juden zur Rechtfertigung gar nichts nützte. Denn wie sie über dem Trachten ihre eigene Werkgerechtigkeit aufzurichten, der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, nicht untertan sind (siehe Römer 10. 3), so bekennen umgekehrt, die an Christus glauben, sich als Sünder und verzichten auf die Werkgerechtigkeit. – Hier stehen wir nun bei der Hauptfrage, ja in diesem einen Satz ist fast die ganze Streitsache enthalten. Vor allem müssen wir uns einprägen, dass man die Gerechtigkeit durch den Glauben an Christus suchen soll, weil des Gesetzes Werke uns nicht rechtfertigen können. Darunter versteht Paulus nicht nur das Zeremonialgesetze, sondern auch das Moralgesetz: Bezieht sich doch, was er den Gegnern vorhält, auf meisten auf dieses (vergleiche dazu Römer 3.20). Aller gesetzlichen Gerechtigkeit steht die Freiheit der Gnade gegenüber, mit welcher Gott uns annimmt. Bildete nun auch den Ausgangspunkt des ganzen Streites die Frage nach den Zeremonien, so greift die Aussprache des Paulus doch viel weiter. Eben darum klammerten sich ja die Gegner an die Zeremonien, um auf ihre Beobachtung die Seligkeit zu gründen: Der Kultus sollte ein verdienstliches Werk sein. Demgegenüber betont Paulus nun nicht etwa bloß, dass man sich an die Sittengebote, sondern vor allem, dass man sich an die Gnade Christi halten solle. Denn das war doch schließlich die entscheidende Frage, ob wir durch Werke überhaupt oder durch Glauben gerecht werden.

Sondern durch den Glauben an Jesus Christus. – Der Satz sagt nicht, dass der Glaube zu den äußeren Zeremonien oder irgendwelchen sittlichen Leistungen ergänzend hinzukommen muss, sondern dass er allein es ist, welcher rechtfertigt. So musste Paulus reden, um seine Gegner zu treffen, welche ja nicht Christus und den Glauben verwerfen, sondern die Zeremonien nur noch hinzufügen wollten. Hätte der Apostel diese Verbindung anerkannt, dann wäre er ja mit den andern einig gewesen und hätte der Kirche einen aufregenden Kampf ersparen können. Es stand aber bei ihm unbedingt fest, dass man nicht (wie heutzutage die römische Lehre will), die Gerechtigkeit halb aus dem Glauben und halb aus den Werken ableiten dürfe. Wenn er lehrt, dass wir durch den Glauben gerecht werden, weil es durch die Werke nicht möglich ist, so gilt es ihm als eine ausgemachte Wahrheit, dass wir uns von eigener Gerechtigkeit leer und ledig fühlen müssen, wenn anders wir Christi Gerechtigkeit uns aneignen wollen. So muss also entweder nichts oder alles dem Glauben oder den Werken zugeschrieben werden.

Denn durch des Gesetzes Werke wird kein Fleisch gerecht. – Wofür Paulus eben das Gewissen des Petrus und seiner Genossen zum Zeugen genommen hatte, das verkündigt er jetzt selbst mit größtem Nachdruck: Kein Sterblicher wird durch des Gesetzes Werke die Gerechtigkeit erlangen! Von eigener Gerechtigkeit entblößt werden – das ist die Grundlage für die geschenkte Gerechtigkeit. Gerechtigkeit aus dem Gesetz ist eben für jeglichen Menschen ohne Ausnahme unerreichbar.