Galater Kapitel 1 Teil IV

Galater 1.15-24

Da es aber Gott wohlgefiel, der mich von meiner Mutter Leibe an hat ausgesondert und berufen durch seine Gnade, dass er seinen Sohn offenbarte in mir, dass ich ihn durchs Evangelium verkündigen sollte unter den Heiden: alsbald fuhr ich zu, und besprach mich nicht darüber mit Fleisch und Blut, kam auch nicht gen Jerusalem zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern zog hin nach Arabien, und kam wiederum gen nach Damaskus. Danach über drei Jahre kam ich gen Jerusalem, Petrus zu schauen, und blieb fünfzehn Tage bei ihm. Der anderen Apostel aber sah ich keinen, außer Jakobus, des Herrn Bruder. Was ich euch aber schreibe, siehe, Gott weiß, ich lüge nicht. Darnach kam ich in die Länder Syrien und Zilizien. Ich war aber unbekannt von Angesicht den christlichen Gemeinden in Judäa. Sie hatten aber allein gehört, dass, der uns weiland verfolgte, der predigt jetzt den Glauben, welchen er weiland verstörte; und priesen Gott über mir.

 

Da es aber Gott wohlgefiel. – Jetzt folgt das zweite Glied der Erzählung: Der Bericht von des Apostels wunderbarer Bekehrung. Derselbe enthält wiederum zwei Stücke: Zuerst, dass Paulus durch Gottes Gnade berufen wurde, Christus unter den Heiden zu predigen, sodann dass er, des göttlichen Ratschlusses gewiss, sogleich von seiner Berufung an, ohne die Apostel um Rat zu fragen, zu dem ihm aufgetragenen Werk ohne alles Zögern sich gerüstet hat. – Übrigens stützt sich der Apostel auf mehrere Beweisgründe, die nur in ihrer Vereinigung wirken. Zuerst sagt er, er sei durch Gottes Gnade berufen, sodann, sein Apostelamt sei von den übrigen Aposteln bestätigt worden. Man muss diese ganze Erzählung in einem Zuge lesen und als Ganzes ins Auge fassen.

Der mich hat ausgesondert. – Diese Aussonderung ist der Ratschluss Gottes, dadurch Paulus zum apostolischen Amte bestimmt wurde, ehe sein menschliches Selbstbewusstsein erwacht war; nachher folgte zu seiner Zeit die Berufung, als der Herr Seinen Willen über ihn ihm offenbarte und ihn hieß, sich zu seinem Werke zu rüsten. Ohne Zweifel hat Gott vor Schöpfung der Welt beschlossen, was er mit jedem von uns vorhat, und nach geheimem Ratschluss einem jeden seine Rolle zuerteilt. Zuweilen stellt die Schrift auch drei Stufen auf: Gottes ewige Vorherbestimmung, die Bestimmung von Mutterleibe an und die Berufung, welche eine Wirkung und Bestätigung der beiden ersten Stufen ist. Zu Jeremias redete der Herr (siehe Jeremia 1.5), dem Wortlaut nach anders, aber dem Sinne nach ebenso wie zu Paulus: Ich kannte dich, ehe denn ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe denn du von der Mutter geboren wurdest, und stellte dich zum Propheten unter die Völker. Denn schon vor seiner Geburt hatte Gott den Paulus zum Apostelamt ausgesondert, wie den Jeremias zum Prophetenamt. Die Berufung aber wird bis zur geeigneten Stunde aufgeschoben, bis uns Gott zur Erfüllung des uns übertragenen Amtes tauglich gemacht hat. Demgemäß will Paulus sagen, dass seine Berufung auf Grund von Gottes geheimer Auswahl erfolgte. Er ist nicht deshalb zum Apostel geweiht worden, weil er durch eigenen Fleiß für ein solches Amt sich tüchtig gemacht oder weil ihn Gott zu solcher Stellung besonders geeignet gehalten, sondern weil er schon vor seiner Geburt durch Gottes geheimen Ratschluss dazu bestimmt war. So führt Paulus die Ursache seiner Berufung auf Gottes gnädigen Ratschluss zurück. Und das ist wichtig. Denn daraus folgt, dass nicht nur unsere Erwählung und Bestimmung zum ewigen Leben von Gottes Gnade abhängt, sondern auch die Einsetzung in einen besonderen Beruf in Gottes Dienst, für welchen wir ohnedies völlig unbrauchbar sein würden. Gott ist es, der allein rechtmäßig einen Beruf übertragen kann, in welchem wir uns üben sollen. Denn was hatte Paulus an sich, als er noch nicht geboren war, das ihn solcher Ehre würdig machte? Es ist also dies alles als das Werk der göttlichen Gnade, und nicht als durch unsere Geschicklichkeit erworben anzusehen, dass wir zur Leitung Seiner Kirche berufen sind. Dass Gott einen Menschen aussondert, will nun nicht besagen, dass Er ihm im Unterschiede von anderen eine ganz besondere Kraft einflößt: Vielmehr gibt Er ihm durch Seinen Ratschluss lediglich eine besondere Bestimmung. Obgleich es nun an sich schon deutlich war, dass Paulus seine Berufung von Gottes Gnade ableitete, wenn er sie auf die Aussonderung vom Mutterleibe her gründete, so sagt er dies doch noch einmal mit ausdrücklichem Wort. Denn es liegt ihm einerseits daran, mit seinem Lobpreis der Gnade jeden Schein von Selbstruhm auszuschließen; andererseits drängt es ihn, dem Herrn seine Dankbarkeit zu bezeugen.

Dass er seinen Sohn offenbarte. – Christus ist dem Paulus offenbart worden, nicht damit er allein seine Erkenntnis genösse und Ihn still in seinem Busen trüge: Vielmehr sollte er den, welchen er ohne eigenes Zutun erkannt hatte, unter den Heiden predigen.

Alsbald fuhr ich zu, und besprach mich nicht darüber mit Fleisch und Blut. – Sich mit Fleisch und Blut besprechen heißt, dieses zu Rate ziehen. Dabei denkt der Apostel an jeglichen menschlichen Beirat, auf den er gänzlich verzichtet hat. Insbesondere aber nennt er seine Mitapostel in der ausdrücklichen Absicht, Gottes unmittelbare Berufung in ein desto helleres Licht zu setzen. Im alleinigen Vertrauen auf Gottes Ermächtigung, und mit ihr völlig zufrieden, hat Paulus sein Predigtamt angetreten.

Kam auch nicht gen Jerusalem zu denen, die vor mir Apostel waren. – Damit wird lediglich der vorige Satz erläutert und verstärkt: Unter allen Sterblichen sind nicht einmal die Apostel als Ratgeber in Betracht gekommen. Natürlich liegt es dem Paulus sehr fern, etwa die Apostel dadurch herabzusetzen, dass er sie unter dem Titel „Fleisch und Blut“ mitbegreift. Wo eine Kreatur mit Gott in Vergleich tritt, darf sie auch die niedrigste Bezeichnung nicht als ein Unrecht empfinden.
Sondern zog hin nach Arabien. – Lukas in der Apostelgeschichte (9.19 ff.) tut dieser drei Jahre keine Erwähnung, wie er auch sonst nicht alles bis ins Einzelne berichtet. Von einem Widerspruch ist aber trotzdem keine Rede. Übrigens mag der fromme Leser sich vor Augen stellen, in welchen schweren Versuchungskampf den Paulus schon die ersten Schritte des Kriegsdienstes Christi gebracht haben: Der Mann, der kurz zuvor in allen Ehren und mit glänzendem Gefolge in Damaskus eingezogen, sieht sich nun plötzlich zur Flucht in ein fremdes Land gezwungen. Aber er verliert den Mut nicht.

Danach über drei Jahre kam ich gen Jerusalem. – Endlich, drei Jahre nach Übernahme des Apostelamtes, kam Paulus nach Jerusalem: So wird deutlich, dass am Anfang seines Weges keine Berufung durch Menschen steht. Und doch, damit es nicht scheint, als habe er einen anderen Geist als die übrigen und fliehe deshalb ihren Anblick, sagt er, er sei in der Absicht gekommen, Petrus zu sehen. Obgleich er also ihre Anerkennung bei Übernahme des Apostelamtes nicht abgewartet, hat er dennoch das Amt nicht wider ihren Willen geführt, sondern mit ihrem vollen Einverständnis. Alles in allem: Zwischen Paulus und den übrigen Aposteln hat nie eine Entfremdung bestanden, auch waltet noch immer das beste Einvernehmen. – Nennt Paulus endlich die verhältnismäßig kurze Zeit, die er in Jerusalem zugebracht hat, so sollen wir daraus abnehmen, dass er nicht gekommen ist, um einen Unterricht zu empfangen, sondern nur um einen freundlichen Austausch zu suchen. Eben darauf deuten auch die Worte (Vers 19): der andern Apostel aber sah ich keinen. Offenbar kam Paulus nur auf einer Durchreise nach Jerusalem.

Außer Jakobus, des Herrn Bruder. – Wer war dieser Jakobus? Die Alten halten ihn, der den Beinamen des Gerechten trug und Vorsteher der Gemeinde von Jerusalem war, fast einstimmig für einen aus dem Kreise der zwölf Jünger. Und dabei wird es bleiben müssen, da gerade in unserem Zusammenhange, wo es sich um die apostolische Amtswürde handelt, der Titel eines Apostels schwerlich im weiteren Sinne gebraucht ist. Wir dürfen also weder an einen Sohn des Joseph aus einer zweiten Ehe denken noch an einen Vetter Jesu von mütterlicher Seite, der aber nicht zu den Zwölfen gehört hätte, sondern wohl nur an Jakobus, den Sohn des Alphäus (Vergleiche 1. Korinther 9.5 &Matthäus 13.56). Wahrscheinlich hatten sich die anderen Apostel damals in die verschiedensten Gegenden zerstreut, denn sie hielten sich nicht untätig an einem Orte auf. Wenn aber Lukas erzählt (Apostelgeschichte 9.27), Paulus sei von Barnabas zu den Aposteln geführt worden, so ist dies nicht von den Zwölfen zu verstehen, sondern von diesen zweien, die damals allein zu Jerusalem waren.

Was ich euch aber schreibe, siehe, Gott weiß, ich lüge nicht. – Diese Versicherung gilt der ganzen Erzählung. Der Eid bezeugt den Ernst, mit dem Paulus um diese Sache streitet: Denn nur bei wichtigen Dingen darf man ihn gebrauchen (Vergleiche Römer 1.9). Über dieses energische Auftreten dürfen wir uns nicht wundern, denn wir sahen oben, was die Betrüger im Schilde führten, indem sie dem Paulus den Ehrennamen eines Apostels entzogen.

Ich war aber unbekannt von Angesicht den christlichen Gemeinden in Judäa. Sie hatten aber allein gehört, dass, der uns weiland verfolgte, der predigt jetzt den Glauben, welchen er weiland verstörte. – Diese Bemerkung soll wohl die Bosheit der Gegner in ihrer ganzen Hässlichkeit erscheinen lassen. Denn wenn das bloße Gerücht schon die jüdischen Gemeinden dazu bewegte, Gott die Ehre zu geben, weil er so großartig in Paulus gewirkt hatte, wie empörend ist es, dass Leute, welche die wunderbare Kraft des Apostels in seinen Erfolgen vor Augen hatten, nicht mit einstimmen wollen!

Und priesen Gott über mir. – Beiläufig wird uns hier eine Regel für die Betrachtung der Heiligen des Herrn gegeben. Unser verkehrter, undankbarer oder auch zum Aberglauben geneigter Sinn überträgt nur zu gern göttliche Ehren auf Menschen, welche Gott mit Seinen Gaben geschmückt hat, und vergisst den Ursprung dieser Gaben. So erinnert uns diese Stelle, vielmehr auf den Geber selbst die Augen zu werfen und Ihm zu geben, was Sein ist. Auch des Paulus Umwandlung aus einem Feinde zu einem Diener soll uns als Grund gelten, Gott zu loben.