1984

von George Orwell

 

Verlag: Ullstein Verlag

 

Leseprobe

Mit dem tiefen, unbewussten Seufzer, den bei Beginn seiner Tagesarbeit auszustoßen ihn nicht einmal die Nähe des Televisors hindern konnte, zog Winston den Sprechschreiber an sich heran, blies den Staub aus dem Mundstück und setzte seine Brille auf. Dann öffnete er vier kleine Papierrollen, die bereits aus der Rohrpost an der rechten Seite seines Schreibtisches herausgeschossen waren, und heftete sie mit Klammern zusammen.

In den Wänden des Büroraumes waren drei Löcher angebracht. Rechts von dem Sprechschreiber eine kleine Rohrpoströhre für schriftliche Mitteilungen; links eine größere für Zeitungen; und in der Seitenwand, für Winston in bequemer Reichweite, ein großer, durch ein Klappgitter geschützter länglicher Schlitz. Dieser Schlitz diente als Papierkorb, und ähnliche Schlitze waren zu Tausenden oder Zehntausenden über das ganze Gebäude verteilt, nicht nur in jedem Zimmer, sondern in kurzen Abständen auf jedem Gang. Aus irgendeinem Grunde hießen sie die Gedächtnis-Löcher. Wusste man, dass ein Dokument zur Vernichtung bestimmt war, oder sah man auch nur ein Stück Abfallpapier herumliegen, war es eine automatische Handlung, das Schutzgitter des nächstbesten Gedächtnis-Loches hochzuklappen und das Papier hineinzuwerfen, woraufhin es von einem warmen Luftstrom zu den riesigen Verbrennungsöfen fortgewirbelt wurde, die in den geheimen Tiefen des Gebäudes verborgen waren.

Winston las die vier Zettel, die er aufgerollt hatte. Jeder enthielt eine nur eine oder zwei Zeilen umfassende Botschaft in dem abgekürzten Jargon, der im Ministerium für interne Zwecke benutzt wurde und der nicht eigentlich aus der Neusprache bestand, aber viele einzelne Worte der Neusprache enthielt. Sie lauteten:

Times vom 17.3. 84: GB Rede Fehlbericht Afrika rechtstellt.

Times vom 19.12.83: Voraussagen 3 j p 4. Quartal 83 Falschdruck verbessert Neuausgabe.

Times vom 14. 2. 84: Miniflu fehlzitiert Schokolade rechtstellt.

Times vom 3. 12. 83: Bericht GB Tagesbefehl doppelplusungut nennt Unpersonen totalumschreibt anteordner.

(Ausschnitt aus: George Orwell – 1984; Ullstein Verlag)

 

Inhalt

Winston Smith ist Angestellter im Ministerium für Wahrheit. Dort ist er zuständig für die Abänderung  von Zeitungsartikeln, die der politischen Meinung des Großen Bruders nicht mehr entsprechen. Immer und immer wieder werden ältere Artikel revidiert und abgeändert, die Geschichte kontinuierlich der politischen Doktrin und Propaganda angepasst. Auch werden Artikel sprachlich so verändert, indem neu erschaffene Worte eingesetzt werden, die keine negative Auslegung oder Äußerung über den Großen Bruder zulassen.

Das Leben von Winston besteht aus Arbeit und Versorgungsproblemen auf der einen Seite sowie Überwachung und politischer Kontrolle auf der anderen Seite. Persönliche Beziehungen von Menschen sind Mangelware – das Individuum als solches beginnt, nicht mehr zu existieren.

In diesem Umfeld trifft Winston eines Tages auf Julia, einer Aktivistin der Jugendliga gegen Sexualität – und dies hat einen bedeutenden und gefährlichen Einschnitt in sein Leben…

 

Biographie

George Orwell, mit bürgerlichem Namen Eric Arthur Blair wird 1903 in British-Indien geboren. Er wächst in England auf und studiert dort. 1921 geht er nach Burma zur Kolonialpolizei. Dort lernt er die zum Teil menschenfeindlichen Methodiken und Vorgehensweisen der Polizei kennen, bis er schließlich seinen Dienst quittiert. 1927 kehrt er nach England in der Absicht zurück, Schriftsteller zu werden. 1928 siedelt er als Englischlehrer nach Paris. Mangels Aufträge muss er sich als Tagelöhner und Gelegenheitsarbeiter verdingen, 1929 kehrt er krank und verarmt nach England zurück. Durch kleine Schreibaufträge kann er sich über Wasser halten. 1937 nimmt er am spanischen Bürgerkrieg teil und wird dabei schwer verwundet. Im zweiten Weltkrieg arbeitet Orwell als Buchkritiker, da er aufgrund seiner Tuberkulose nicht eingezogen wird. Nach dem Krieg erscheint sein Buch Farm der Tiere, mit dem er den Durchbruch schafft, gefolgt von 1984, welches im Jahre 1949 veröffentlicht wird. 1950 stirbt George Orwell in Sutton an Tuberkulose.

 

Bewertung

George Orwell ist es gelungen, ein düsteres Science-Fiction-Szenario zu kreieren. In seiner Vision der Überwachung und – meiner Ansicht nach noch viel schlimmeren Aussage – der systematischen Veränderung der Geschichte sowie durch die Abänderung der Schrift auch des Denkens, hat Orwell eine Welt entworfen, die den heutigen Mechanismen der Kontrolle und Überwachung mehr als nahe kommt. Vor allem aber imponieren seine menschlichen Studien, mit denen er seine Charaktere beschreibt; die menschliche Abhängigkeit von sozialem Miteinander bzw. im negativen Sinne sozialer Kälte sowie die Angst, die die Menschen unterschwellig begleitet.

George Orwells Buch 1984 ist eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe und gehört daher zu meinen persönlichen Top Ten!